Lourdes
Himmel und an diesem strahlenden Tage das herzzerreißendste Durcheinander, das man sehen konnte. Die drei Spitäler hatten ihre schrecklichen Säle geleert. Am weitesten weg hatte man zuerst die Kräftigen, die noch sitzen konnten, auf den Bänken zusammengehäuft. Aber es waren viele von ihnen zwischen Polsterkissen eingekeilt, andere lehnten sich mit den Achseln aneinander, die Starken stützten die Schwachen. Vorn, vor der Grotte selbst, lagen die Schwerkranken ausgestreckt. Die Steinfliesen des Pflasters verschwanden unter dieser kläglichen Flut, unter diesem breiten, stillstehenden Pfuhl des Schreckens. Es war ein Durcheinander von Wagen, Tragbahren und Matratzen, das sich nicht beschreiben läßt. Gewisse Kranke hoben sich in ihren kleinen Wagen und Dachrinnen, die Särgen glichen, in die Höhe und ragten über die anderen hinweg, während die meisten fast auf dem Boden zu liegen schienen. Es gab darunter Angekleidete, die einfach auf der gewürfelten Leinwand der Matratzen lagen. Andere hatte man in ihrem Bettzeug hergebracht. Man sah außerhalb der Tücher nur ihren Kopf und ihre bleichen Hände. Nur wenige von den elenden Betten waren reinlich. Wenige Kopfkissen zeigten eine blendende Weiße, sie waren als letzter Beweis von Gefallsucht mit einer Stickerei verziert und stachen gegen die schmierige Armseligkeit der anderen, gegen die ausgepackten Lumpen, abgenützten Decken und mit Schmutzflecken besudelten Leintücher auffallend ab. Und alle Kranken waren zusammengeschoben, aneinander gedrängt und aufgestapelt, wie man sie auf gut Glück hierhergebracht hatte: Weiber, Männer und Kinder, Priester, entkleidete und bekleidete Leute lagen im bunten Gemisch im hellen, blendenden Tageslicht.
Im schrecklichen Zug, der täglich zweimal aus den Spitälern kam, um das entsetzte Lourdes zu durchqueren, waren alle Krankheiten vertreten. Da gab es vom Ausschlag angefressene Köpfe, von den Röteln bekränzte Stirnen, Nasen und Mäuler, die die Elefantiasis zu unförmlichen Rüsseln verwandelt hatte. Dann sah man Wassersüchtige, aufgebläht wie Schläuche, Rheumatische mit verkrümmten und geschwollenen Füßen, die mit Lumpen vollgestopften Säcken glichen, und eine Wasserköpfige, deren übermäßig großer, viel zu schwerer Schädel nach hinten auf den Rücken fiel. Dann zeigten sich vor Fieber zitternde und von Dysenterie erschöpfte Schwindsüchtige, mit bleigrauer Haut und von skelettartiger Magerkeit, alle Verunstaltungen der Starrheit und Steifheit, verkrümmter Wuchs, umgedrehte Arme, schief gestellte Hälse, arme, zerbrochene und zermalmte Wesen, die in der Stellung von tragischen Hampelmännern unbeweglich geblieben waren. Weiter gab es armselige rhachitische Mädchen, die ihren wachsbleichen Teint und ihren dünnen, von Skrofeln angenagten Nacken zur Schau stellten, gelbe, blödsinnige Weiber in der schmerzhaften Betäubung der Elenden, die der Krebs verzehrt. Wieder andere waren blaß vor Angst und wagten sich nicht zu rühren aus Furcht vor einem Zusammenstoß der Geschwülste, deren beschwerliche Beklemmung sie zu ersticken drohte. Auf den Bänken saßen Taube, die nichts hörten und trotzdem mitsangen, und Blinde, die den hoch gehobenen, aufrecht gerichteten Kopf stundenlang der Statue der Heiligen Jungfrau zuwandten, die sie nicht sehen konnten. Auch die vom Blödsinn befallene Närrin befand sich da, deren Nase von irgendeinem venerischen Geschwür weggefressen war. Sie lachte mit ihrem leeren schwarzen Mund, aber es war ein schreckliches Lachen. Ebenso sah man auch die Epileptische: von einem neuen Anfall war sie noch totenblaß und hatte Schaum in den Mundwinkeln.
Aber weder Krankheit noch Leiden kümmerte sie, seitdem sie alle da saßen und lagen und die Augen auf die Grotte hefteten. Die armen, abgezehrten, erdfarbigen Gesichter verklärten sich und begannen vor Hoffnung zu brennen. Steife Hände falteten sich, allzu schwere Lider fanden die Kraft, sich zu heben, und erloschene Stimmen belebten sich wieder bei den Rufen des Priesters. Zuerst war es nur ein unbestimmtes Stammeln, einem leisen Windhauch ähnlich, der sich da und dort über der Menge erhob. Dann schwoll der Ruf an, dehnte sich aus und riß die Volksmasse selbst von einem Ende des ungeheuren Platzes bis zum andern mit sich fort.
»Marie, ohne Sünden empfangen, bitt' für uns!« rief der Priester mit seiner donnernden Stimme.
Die Kranken und die Pilger wiederholten immer lauter:
»Marie, ohne Sünden empfangen, bitt' für
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