Lourdes
Fieber:
»Herr! Rette uns, denn wir gehen zugrunde!«
Er öffnete die Arme und schleuderte seinen Flammenruf herab, als ob er ihn aus seinem brennenden Herzen gerissen hätte:
»Herr! Wenn du willst, kannst du mich heilen!«
»Herr! Wenn du willst, kannst du mich heilen!«
»Herr! Ich bin nicht würdig, daß du eingehst in mein Haus, aber sprich nur ein Wort, und ich werde gesunden!«
»Herr! Ich bin nicht würdig, daß du eingehst in mein Haus, aber sprich nur ein Wort, und ich werde gesunden!«
Martha, die Schwester des Bruders Isidor, hatte mit Frau Sabathier, neben der sie sich endlich niedergesetzt hatte, ganz leise zu plaudern begonnen. Die beiden hatten sich im Hospital kennengelernt, und in der Annäherung, die so viele gemeinsame Leiden zuwege bringen, erzählte das einfache Mädchen der Bürgersfrau zutraulich, wie sehr sie um ihren Bruder in Sorge wäre. Denn sie sah es wohl: er lag schon in den letzten Zügen. Wenn ihn die Heilige Jungfrau gesund machen wollte, mußte sie sich beeilen. Es war schon ein Wunder, daß man ihn noch lebend bis zur Grotte gebracht hatte.
Als armes, einfaches Geschöpf hatte sie sich in den Willen Gottes ergeben, sie weinte nicht. Aber ihr Herz war so voll, daß die wenigen Worte, die sie sagte, sie beinahe erstickten. Dann kam es über sie wie ein Strom der Erinnerung an vergangene Zeiten, und sie erleichterte ihr Herz.
»Wir waren vierzehn zu Hause, in Saint-Jacut bei Vannes. Er ist stets kränklich gewesen, so groß er auch war, und deshalb blieb er auch bei unserem Kuraten, der ihn endlich in den ›Christlichen Schulen‹ unterbrachte. Die älteren Brüder nahmen das Gut in Besitz, und ich zog es vor, in einen Dienst zu treten. Ja, eine Dame hat mich schon vor fünf Jahren mit nach Paris genommen. Ach, wie mühselig ist das Leben. Alle Welt hat so viel Mühsal!«
»Sie haben sehr recht, mein Kind«, antwortete Frau Sabathier, indem sie ihren Gatten betrachtete, der jeden Satz des Paters Massias andächtig nachsprach.
»Da habe ich letzten Monat erfahren«, fuhr Martha fort, »daß Isidor aus den heißen Ländern, in denen er als Missionar war, zurückgekommen sei und von da drüben eine schlimme Krankheit mitgebracht habe. Als ich ihn dann sofort besuchte, sagte er mir, er würde sterben, wenn er nicht nach Lourdes ginge, aber es wäre ihm unmöglich, die Reise zu machen, weil er niemand zu seiner Begleitung hätte. Ich hatte mir achtzig Frank erspart, verließ meinen Dienst, und wir sind zusammen gereist. Sehen Sie, gnädige Frau, wenn ich ihn sehr hebe, so hat das seinen Grund darin, daß er mir, als ich klein war, Johannisbeeren aus dem Pfarrhof mitbrachte, während alle anderen mich schlugen.«
Sie fiel wieder in ihr Stillschweigen zurück. Das Gesicht war geschwollen vor Gram, ohne daß ihren traurigen, von den Nachtwachen entzündeten Augen die Tränen entströmen konnten. Sie stammelte nur noch Worte ohne Zusammenhang.
»Betrachten Sie ihn doch! Es ist zum Erbarmen. Ach, mein Gott! Seine armen Wangen, sein armes Kinn, sein armes Gesicht –«
In der Tat bot er einen kläglichen Anblick. Frau Sabathier drehte sich das Herz um, als sie den Bruder Isidor gelb, erdfarbig und erstarrt liegen sah. Er zeigte außerhalb des Bettes nur seine gefalteten Hände und sein von spärlichen langen Haaren eingerahmtes Gesicht. Aber wenn auch die wachsbleichen Hände die eines Toten zu sein schienen, und wenn sich in seinem langen, schmerzdurchwühlten Gesicht auch kein Zug mehr bewegte, die Augen lebten noch, Augen, in denen eine unauslöschliche Liebe brannte, deren Flamme hinreichte, sein ganzes, einem am Kreuze sterbenden Christus ähnliches Antlitz zu erleuchten. Nie hatte sich der Gegensatz zwischen der niederen Stirne und der beschränkten, tierischen Miene des Bauers einerseits und dem göttlichen Glanz andererseits so deutlich zu erkennen gegeben. Denn ein wirklicher, göttlicher Glanz ging von dieser armen, verwüsteten, durch das Leiden geheiligten menschlichen Fratze aus, die in der letzten Stunde, in der leidenschaftlichen Entflammung des Glaubens erhaben geworden war. Das Fleisch hatte sich gleichsam aufgelöst und sogar der Atem sich verflüchtigt. Der Kranke war nur noch ein Blick, ein Blitzstrahl.
Seitdem man den Bruder Isidor dort niedergelassen, hatte er die Augen nicht mehr von der Statue der Jungfrau abgewandt. Für ihn gab es nichts anderes in seiner Umgebung. Er sah nicht die ungeheure Menschenmasse und hörte nicht einmal das rasende Geschrei der
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