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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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daß ich glaubte, ich stürbe. Aber sie stieg immer höher, über meine Brust und meinen Hals hinaus, ich hatte sie im Mund und spie sie mit ungestümer Gewalt von mir ... Damit war es zu Ende. Ich hatte kein Leiden mehr, es war wie davongeflogen!«
    Raboin hatte die Erzählung mit verwunderten Augen und der Verzückung eines Frommen von beschränktem Geist vernommen, der oft vom Gedanken an die Hölle heimgesucht wird.
    »Den Teufel hat sie ausgespien«, rief er, »den Teufel!«
    Der verständigere Doktor Bonamy legte ihm aber Schweigen auf und sagte, sich an die Ärzte wendend:
    »Meine Herren! Sie wissen, daß wir es stets vermeiden, hier das große Wort ›Wunder‹ auszusprechen. Aber wir haben da eine Tatsache vor uns, und ich bin neugierig zu erfahren, wie Sie sie auf natürlichem Wege erklären wollen ... Das Fräulein war sieben Jahre lang von einer schweren Lähmung befallen, die augenscheinlich durch eine Verletzung des Marks verursacht worden war. Die Kranke konnte weder gehen noch sonst eine Bewegung machen, ohne in Wehklagen auszubrechen. Sie war bei jener äußersten Erschöpfung angelangt, die kurz vor dem schlimmen Ausgang einer Krankheit einzutreten pflegt... Da sehen Sie sie mit einemmal aufstehen, umhergehen, lachen und strahlen. Die Lähmung ist vollständig verschwunden, und nicht der geringste Schmerz ist zurückgeblieben. Sie befindet sich gerade so wohl wie Sie und ich... Nun denn, meine Herren! Treten Sie näher, untersuchen Sie sie und sagen Sie mir, was vorgegangen ist!«
    Er triumphierte. Keiner von den Ärzten ergriff das Wort. Zwei davon stimmten ihm mit einem kräftigen Kopfnicken zu. Sie waren ohne Zweifel gläubige Katholiken. Die anderen blieben unbeweglich und zeigten eine verlegene Miene, da sie wenig Lust hatten, sich in diese Geschichte einzulassen. Trotzdem erhob sich endlich ein kleiner, magerer Herr, dessen Augen hinter Brillengläsern leuchteten, um Marie etwas mehr in der Nähe zu sehen. Er ergriff ihre Hände, betrachtete ihre Augensterne und schien sich nur mit dem Ausdruck der Verklärung, den die Kranke ausstrahlte, zu beschäftigen. Dann kehrte er, ohne den Fall selbst erörtern zu wollen, sehr höflich zu seinem Sitz zurück.
    »Der Fall entschlüpft der Wissenschaft, das ist alles, was ich feststelle«, schloß Doktor Bonamy. »Ich füge hinzu, daß hier keine allmählich fortschreitende Besserung vorliegt, die Gesundheit hat sich vielmehr voll und ganz auf einmal wiederhergestellt... Sehen Sie das Fräulein an. Der Blick glänzt, die Gesichtsfarbe ist rosig, der Ausdruck hat seine lebhafte Heiterkeit wiedergefunden. Die Wiederherstellung der Gewebe wird ohne Zweifel etwas langsam ihren Fortgang nehmen, aber schon jetzt kann man sagen, daß das Fräulein zu einem neuen Leben wiedergeboren wurde... Nicht wahr, Herr Abbé, Sie kennen sie nicht wieder?«
    Pierre antwortete verwirrt:
    »Das ist wahr... das ist wahr...«
    In der Tat erschien sie ihm schon kräftig, die Wangen waren voll und frisch und von freudiger Blüte. Aber wiederum mußte er sich sagen, daß Beauclair diese Wiederaufrichtung und glänzende Wiederherstellung des ganzen gebrochenen Leibes vorausgesehen und für den Zeitpunkt vorausgesagt hatte, in dem das Leben in den Körper zurückkehrte und mit ihm der feste Wille zu genesen und glücklich zu werden.
    Doktor Bonamy hatte sich wieder über die Schulter des Paters Dargelès gebeugt, der seine Notiz, die ein vollständiges kleines Protokoll bildete, fertig schrieb. Beide tauschten einige halblaute Worte aus. Sie berieten sich und der Doktor fuhr endlich fort:
    »Herr Abbé! Sie waren dabei, als sich diese Wunderdinge ereigneten und werden es uns nicht abschlagen, den ganz genauen Bericht, den der ehrwürdige Pater für das ›Journal de la Grotte‹ verfaßt hat, mit Ihrer Unterschrift zu versehen.«
    Er sollte diesen Bericht voll Irrtum und Trug unterzeichnen! Empörung stieg in ihm auf, und er stand auf dem Punkt, die Wahrheit laut zu bekennen. Aber er spürte auf seinen Schultern die Last der Soutane, und namentlich erfüllte die göttliche Freude Mariens sein Herz. Er fühlte sich von einem so großen Glück durchdrungen, sie gerettet zu sehen! Seitdem man sie nicht mehr befragte, hatte sie sich auf seinen Arm gestützt und lächelte ihm mit freudetrunkenen Augen zu.
    »Pierre!« sagte sie ganz leise, »danken Sie der Heiligen Jungfrau. Sie ist so gütig gewesen. Jetzt bin ich gesund und jung! ... Und mein Vater, mein armer Vater, wie wird der sich

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