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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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freuen!«
    Da unterzeichnete Pierre. In seinem Innern stürzte alles in Trümmer, aber es genügte, daß sie gerettet war. Er würde es für einen Gottesraub angesehen haben, wenn er an dem Glauben dieses Kindes, dem reinen, erhabenen Glauben gerüttelt hätte, der seine Genesung bewirkt hatte.
    Als Marie draußen wieder erschien, begann das Freudengeschrei aufs neue, das Volk klatschte in die Hände. Das Wunder schien jetzt amtlich bestätigt zu sein. Dennoch hatten mitleidige Personen, die fürchteten, sie könnte ermüden und ihren vor der Grotte zurückgelassenen Wagens brauchen, diesen bis vor das Büro der Beurkundungen geschoben. Als sie ihn wiederfand, wurde sie von einer tiefen Bewegung ergriffen. Ach, dieser kleine Wagen, in dem sie so viele Jahre verlebt hatte! Dieser rollende Sarg, in dem sie sich bisweilen lebend begraben wähnte! Wie viele Tränen, wieviel Verzweiflung und wie viele schlimme Tage hatte er gesehen! Da kam ihr auf einmal der Gedanke, auch er müsse, da er so lange ihre Mühsal einschloß, nun an ihrem Triumph teilnehmen. Eine göttliche Eingebung kam über sie wie ein heiliger Wahn und ließ sie die Deichsel erfassen.
    In diesem Augenblick zog die Prozession vorüber, sie kam von der Grotte zurück, wo der Abbé Judaine den Segen erteilt hatte. Da nahm Marie, ihren Wagen ziehend, den Platz hinter dem Altarhimmel ein. In Pantoffeln, den Kopf mit einer Spitze bedeckt, schritt sie im Zuge mit, und mit hoch erhobenem, herrlichen, leuchtenden Antlitz zog sie den kleinen Wagen des Elends hinter sich her, den rollenden Sarg, in dem sie in Todesnot gelegen hatte. Und die jubelnde Menge, das wahnwitzige Volk folgte ihr.

IV
    Pierre hatte sich Marie angeschlossen und ging neben ihr hinter dem Altarhimmel, gleichsam mit fortgerissen von dem Sturm der Begeisterung, der sie ihren Wagen im Triumph mitführen ließ. Aber es kam jede Minute zu so heftigen Zusammenstößen, daß er sicherlich gefallen wäre, wenn ihn nicht eine feste Hand gehalten hätte.
    »Haben Sie keine Furcht, sondern geben Sie mir den Arm. Sie können sich sonst nicht aufrecht halten!«
    Er drehte sich um und war überrascht, als er den Pater Massias erkannte, der den Pater Fourcade auf der Kanzel zurückgelassen hatte, um den Altarhimmel zu begleiten. Ein ungewöhnliches Fieber hielt ihn aufrecht und trieb ihn mit der Gewalt eines Felsblocks vorwärts, seine Augen glichen Feuerbränden, und sein mit Schweiß bedecktes Gesicht hatte einen schwärmerischen Ausdruck.
    »Geben Sie doch acht! Reichen Sie mir den Arm!« sagte er zu Pierre.
    Eine neue Menschenwoge hätte sie beinahe weggefegt. Pierre überließ sich daher diesem schrecklichen Mann, den er im Seminar zum Mitschüler gehabt hatte. Welch eigentümliche Begegnung, und wie gerne hätte auch er diesen ungestümen Glauben, diesen gläubigen Wahnsinn besessen, der den Pater keuchen und aus schluchzender Kehle die ununterbrochene glühende Bitte ausstoßen ließ:
    »Herr Jesus, heile unsere Kranken! ... Herr Jesus, heile unsere Kranken!«
    Hinter dem Altarhimmel war des Schreiens kein Ende. Dort befand sich stets ein Ausrufer, der den Auftrag hatte, die göttliche Güte nicht in Frieden zu lassen, wenn sie sich allzu langsam zeigte. Bisweilen hörte man ihn mit dumpfer, in Tränen zerfließender, ein anderes Mal mit durchdringender und herzzerreißender Stimme rufen. Die gebieterische Stimme des Paters brach endlich vor seelischer Erregung.
    »Herr Jesus, heile unsere Kranken! ... Herr Jesus, heile unsere Kranken! ...«
    Das Gerücht von der plötzlichen Genesung Maries, diesem Wunder, dessen glänzender Ruf bald die Christenheit erfüllen mußte, hatte sich schon von einem Ende der Stadt Lourdes bis zum andern ausgebreitet, versetzte das Volk in einen immer noch zunehmenden Taumel und rief eine Krise ansteckenden Wahnwitzes hervor, der das Volk gewaltsam in die Nähe des heiligen Sakraments drängte, das in der fessellosen Springflut des Menschenmeers hin und her schwankte. Jeder gab dem unbewußten Verlangen nach, es zu sehen und zu berühren, um geheilt und glücklich zu werden. Gott ging ja vorüber, und hier gab es nur Kranke mit brennender Lebensbegierde. Sie alle fühlten ein verheerendes Glücksbedürfnis, das sie so aufstachelte, daß ihre blutenden Herzen sich öffneten und ihre Hände sich gierig ausstreckten.
    Deshalb hatte auch Berthaud, der vor dem Übermaß dieser Leidenschaft Furcht bekam, seine Leute begleitet. Er gab ihnen Befehle und wachte darüber, daß die

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