Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Füßen, Marie triumphierte und zeigte ihr strahlendes, herrliches Angesicht. Und der Ruf, mit dem sie ihre Heilung verkündete, erweckte einen Widerhall von so trunkener Begeisterung, daß das ganze Volk außer sich geriet. Es vergaß alles und sah nur noch sie, wie sie größer geworden und strahlend wie eine göttliche Erscheinung dastand.
    »Ich bin geheilt! ... Ich bin geheilt! ...«
    Eine ungestüme Bewegung hatte Pierres Herz ergriffen. Er begann zu weinen. Mitten unter den Ausrufen, den Dankgebeten und Lobpreisungen gewann nach und nach ein Wahnsinnstaumel die Oberhand und versetzte die Tausende von Pilgern, die sich zerquetschten, um die Geheilte zu sehen, in einen Zustand unaussprechlicher Aufregung. Es entfesselte sich ein Beifallklatschen, das so wütend wurde, daß sein Donnerschall von einem Ende des Tales zum andern rollte.
    Der Pater Fourcade fuchtelte mit den Armen herum und Pater Massias konnte sich endlich von der Höhe der Kanzel herab verständlich machen.
    »Gott hat uns heimgesucht, meine lieben Brüder, meine teuren Schwestern! ... Magnificat anima mea Dominum ...«
    Und alle Pilger, die Tausende von Pilgern stimmten den Gesang der Anbetung und des Dankes an. Die Prozession sah sich dadurch aufgehalten, und der Abbé Judaine, der mit der Monstranz die Grotte hatte erreichen können, wartete dort geduldig, ehe er den Segen austeilte.
    Marie war schluchzend niedergekniet, und während der ganzen Zeit, die der Gesang in Anspruch nahm, stieg ein glühender Ausdruck des Glaubens und der Liebe aus ihrem Innern zu Gott empor. Aber das Volk wollte sie gehen sehen. Glückselige Frauen riefen ihr zu, ein Schwarm, der sie beinahe mit sich fortriß, umringte sie und drängte sie nach dem Büro der Beurkundungen, damit das Wunder, das gleich dem Licht der Sonne glänzte, festgestellt würde. Ihren kleinen Wagen ließ man stehen. Pierre begleitete sie, während sie, die seit sieben Jahren ihre Beine nicht mehr gebraucht hatte, stammelnd und zaudernd, liebenswürdig ungeschickt und mit der besorgten und doch entzückten Miene eines kleinen Kindes, das seine ersten Schritte macht, dahinwandelte. Das war so rührend und lieblich, daß er an nichts mehr dachte als an das unermeßliche Glück, sie zu einer neuen Jugend wiedergeboren zu sehen. Ach, die teure Freundin seiner Kindheit, die zärtliche Gefährtin längst entschwundener Tage! Endlich würde sie also zum schönen und reizenden Weibe aufblühen!
    Die Menge fuhr fort, ihr stürmisch zuzujauchzen, eine ungeheure Menschenmenge staute sich und begleitete sie. Und als sie ins Büro, in das Pierre allein mit ihr zugelassen wurde, eingetreten war, da blieben alle in fieberhafter Erwartung vor der Tür stehen.
    Im Büro der Beurkundungen waren an diesem Nachmittag wenig Leute. Der kleine viereckige Saal mit seinen glühend heißen Holzwänden, seinen einfachen Möbeln, den Strohsesseln und den zwei Tischen von ungleicher Höhe war außer von dem gewöhnlichen Personal nur von fünf oder sechs Ärzten besetzt, die schweigend herumsaßen. Vor den Tischen standen der Vorsteher des Weiherdienstes und zwei junge Abbés, die Register in den Händen hielten und in Aktenheften blätterten, während der Pater Dargeles an einem Tischende saß und Notizen für seine Zeitung schrieb. Doktor Bonamy war gerade dabei, den Lupus der Elise Rouquet zu untersuchen, die sich zum drittenmal vorgestellt hatte, um die fortschreitende Vernarbung ihrer Wunde bestätigen zu lassen.
    »Nun, meine Herren!« rief der Doktor, »haben Sie jemals gesehen, daß sich ein Lupus in dieser Weise und so rasch besserte? ... Ich weiß wohl, daß ein neues Werk über den heilenden Glauben erschienen ist. Darin wird gesagt, daß gewisse Wunden einen nervösen Ursprung haben können. Aber nichts ist weniger bewiesen als das, namentlich bei einem Fall von Lupus, und es soll nur einmal eine ärztliche Kommission zusammentreten und sich darüber einigen, wie sie die Heilung des Fräuleins auf gewöhnlichem Wege erklärt ...«
    Er unterbrach seine Rede und wandte sich an den Pater Dargeles.
    »Sie haben doch notiert, Pater, daß die Eiterung vollständig verschwunden ist und daß die Haut ihre natürliche Farbe wieder annimmt?«
    Aber er wartete die Antwort nicht ab, denn von Pierre begleitet, trat Marie ein, und beim strahlenden Anblick der durch ein Wunder Geheilten ahnte er sogleich den Glücksfall, der sich ihm bot. Sie war bewunderungswürdig und ganz dazu geschaffen, um die Massen hinzureißen und zu

Weitere Kostenlose Bücher