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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Kuppelgewölbes der Rosenkranzkirche, auf dem weiten Vorplatz vor den Dachbauten. Die Abordnungen des Pilgerzuges breiteten sich dort aus, und die Fahnen aus Seide und Samt zeigten im Brand des Sonnenuntergangs ihre lebhaften Farben. Dann kamen die glänzenden Reihen des Klerus, die Priester in schneeweißen Chorhemden und goldenen Meßgewändern, einem Zug vorüberwandelnder Gestirne vergleichbar. Die Rauchfässer schwangen sich hin und her, und der Altarhimmel stieg, ohne daß man die Träger wahrnahm, immer höher, wie wenn eine geheimnisvolle Kraft, wie wenn unsichtbare Engel ihn zur weit geöffneten Himmelspforte emporgehoben hätten.
    Gesänge waren angestimmt worden, denn jetzt, da man sich von der Menge losgemacht hatte, begehrten keine schreienden Stimmen mehr die Heilung der Kranken. Das Wunder hatte sich vollzogen, und man feierte es aus vollem Halse unter dem Geläute der in heiterer, zitternder Luft sich schwingenden Glocken.
    »Magnificat anima mea Dominum.« Dieses schon in der Grotte gesungene Lob- und Danklied stieg von neuem aus den Herzen auf.
    »Et exultavit spiritus meus in Deo salutari meo ...«
    Marie beteiligte sich an diesem strahlenden Aufstieg, an dieser Himmelfahrt auf den riesigen Rampen der lichtglänzenden Basilika entgegen mit wachsender, überschäumender Fröhlichkeit. Je höher sie kam, desto mehr schien es ihr, daß sie kräftiger würde und fester auf ihren vom Tode auferstandenen Beinen stünde. Der Wagen, den sie hinter sich her zog, war gleichsam die dem bezwungenen Leiden abgenommene Beute, die Hölle, aus der die Heilige Jungfrau sie erlöst hatte. Und obwohl ihr die Deichsel die Hände zerrieb, wollte sie ihn doch mit hinaufführen, um ihn zu Füßen Gottes niederzusetzen. Kein Hindernis konnte sie aufhalten, sie lachte unter schweren Tränen, ihre Brust hob sich und ihr Gang war wie der eines Kriegers.
    Pierre hielt sich am Arm des Paters Massias, der ihn nicht losgelassen hatte, in Maries Nähe. In seine übermäßige Gemütsbewegung verloren, war er unfähig, über etwas nachzudenken. Die mächtige Stimme seines Gefährten betäubte ihn.
    »Desposuit potentes de sede et exaltavit humiles ...«
    Auf der andern Seite zu seiner Rechten begleitete auch Berthaud, der jetzt beruhigt war, den Altarhimmel. Er hatte seinen Sänftenträgern den Befehl gegeben, die Kette aufzulösen und betrachtete nun mit entzückter Miene das Menschenmeer, das die Prozession soeben durchquert hatte. Je höher man emporstieg, desto weiter breiteten sich unten der Platz der Rosenkranzkirche sowie die Avenuen und Gartenalleen aus und entfalteten sich, schwarz von Menschen, vor den Blicken. Man sah aus der Vogelschau ein ganzes Volk, ein mehr und mehr sich ausbreitendes und in die Ferne rückendes Ameisengewimmel.
    »Sehen Sie nur!« sagte er endlich zu Pierre. »Wie großartig! Wie schön! ... Nun, es wird kein schlechtes Jahr geben.«
    Für ihn war Lourdes hauptsächlich ein Herd für die Propaganda, in der er seinen politischen Groll befriedigte, und er freute sich über die zahlreichen Pilgerzüge, von denen er annahm, sie wären der Regierung unangenehm. Ach, hätte man doch nur die Arbeiter aus den Städten herbringen und eine katholische Demokratie gründen können!
    »Das letzte Jahr«, fuhr er fort, »hat man es kaum auf zweihunderttausend Pilger gebracht. Ich hoffe, diese Ziffer wird in diesem Jahr überschritten.«
    Und obgleich er ein leidenschaftlicher Fanatiker war, fügte er mit der heiteren Miene eines Lebemannes hinzu:
    »Noch eben, während man sich zerdrückte, war ich ganz zufrieden ... Ich sagte mir: Die Sache geht, die Sache geht vorwärts!«
    Aber Pierre hörte nicht auf ihn, da er von der Großartigkeit des Schauspiels gefangen genommen war.
    Die Menschenmassen, die sich immer weiter ausdehnten, je mehr man sich über sie erhob, und dieses herrliche Tal zu seinen Füßen, das ihm seine immer weiter sich ausdehnende Tiefe zeigte und den prunkvollen Horizont des Gebirges vor ihm aufrollte, erfüllten ihn mit bebender Bewunderung. Seine Verwirrung war darunter gewachsen: er suchte Maries Blick und zeigte mit einer umfassenden Gebärde auf den unermeßlichen Gesichtskreis. Diese Gebärde wurde von dem jungen Mädchen mißverstanden: in dem geistigen, schwärmerischen Zustand, in dem sie sich befand, sah sie nicht die körperliche Wirklichkeit des Schauspiels, sondern sie glaubte, er nähme die Erde zum Zeugen für die Gnadenwunder, mit denen die Heilige Jungfrau sie beide eben

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