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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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von ihren elenden Schmerzensbetten, zitternde Arme streckten sich aus, und verschrumpfte Hände schienen das Wunder bei seinem Vorüberziehen festhalten zu wollen. »Herr Jesus! Rette uns, wir gehen zugrunde! ... Herr Jesus! Wir beten dich an, heile uns! ... Herr Jesus! Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, heile uns! ...« Dreimal stießen die Stimmen in äußerster Aufregung und Verzweiflung diesen höchsten Klageruf aus, mit einer Gewalt, die den Himmel erschüttern mußte. Die Tränen verdoppelten sich und überströmten die glühenden, von der Sehnsucht nach dem Heil verklärten Gesichter. Einen Augenblick wurde der Taumel so heftig und das instinktive Näherdrängen gegen das heilige Sakrament erschien so unwiderstehlich, daß Berthaud die in der Nähe befindlichen Sänftenträger eine Kette bilden ließ. Diese Maßnahmen wurden nur im äußersten Notfall ausgeführt, indem sich rechts und links vom Altarhimmel eine Reihe von Sänftenträgern aufstellte, von denen jeder einen Arm fest um den Nacken seines Nachbars schlang, derart, daß sie eine Art lebender Mauer bildeten. So war keine Lücke mehr vorhanden, und niemand konnte durchkommen. Aber trotzdem wankten diese menschlichen Schranken unter dem leidenschaftlichen Andrang, der nach dem Leben schmachtenden Unglücklichen, die Jesum berühren und küssen wollten. Sie schwankten und wurden gegen den Altarhimmel zurückgedrängt, den sie beschützten, und der Altarhimmel selbst trieb, fortwährend bedroht, wie eine heilige Barke umher, die in Gefahr steht, Schiffbruch zu leiden.
    Als der fromme Wahnsinn auf seinem Höhepunkt angekommen war, brachen, wie wenn bei einem Gewitter der Himmel sich öffnet und der Blitz herabfällt, unter flehentlichen Gebeten und Schluchzen die Wunder los. Eine Gelähmte erhob sich und warf ihre Krücken fort. Es erscholl ein durchdringender Schrei, dann zeigte sich eine Frau, die, in eine weiße Decke wie in ein Leichentuch eingehüllt, aufrecht auf ihrer Matratze stand. Man sagte, es sei eine halbtote Schwindsüchtige, die wieder zum Leben auferstanden sei. Schlag auf Schlag vollzog sich dann noch zweimal ein Akt der Gnade: eine Blinde nahm in einer plötzlichen Flammenerscheinung die Grotte wahr, und eine Stumme fiel auf beide Knie nieder, indem sie der Heiligen Jungfrau mit lauter, heller Stimme Dank sagte. Auch alle anderen warfen sich, rasend vor Freude und Dankbarkeit, Unserer Lieben Frau von Lourdes zu Füßen.
    Pierre hatte Marie nicht aus den Augen gelassen und wurde durch das, was er sah, tief gerührt und erschüttert. Die noch leeren Blicke der Kranken hatten sich erweitert, während ihr armes, blasses Gesicht mit dem schweren Ausdruck sich verzog, als ob sie schrecklich gelitten hätte. Sie sprach nichts, aber ohne Zweifel glaubte sie sich neuerdings vom Bösen ergriffen und schien deshalb hoffnungslos.
    Da wurde sie plötzlich, als das heilige Sakrament vorüberzog und Marie es wie ein Gestirn im Sonnenschein glänzen sah, so geblendet, daß sie meinte, ein Blitz habe sie getroffen. An diesem Glanz entzündete sich das Feuer ihrer Augen, sie gewannen endlich wieder ihre Lebensflamme und schimmerten gleich Sternen. Ihr Antlitz belebte und rötete sich unter einer Flut frischer Kraft, die sie durchströmte, es strahlte von lachender Freude und Gesundheit. Dann sah der junge Priester, wie sie sich ungestüm in ihrem Wagen erhob und schwankend darin stehenblieb!
    Er hatte sich rasch genähert, um sie zu halten. Aber sie gebot ihm mit einer Gebärde Einhalt, denn sie fühlte sich wieder kräftig und erschien sehr rührend und schön in ihrem Kleide von geringer schwarzer Wolle und in den Pantoffeln, die sie stets anbehielt. Sie stand da schlank und schmächtig und von einem goldenen Heiligenschein umgeben, den ihre bewunderungswürdigen, von einer einfachen Spitze bedeckten blonden Haare um sie woben. Ihr ganzer jungfräulicher Leib war die Beute tiefer Erschütterungen, als ob eine gewaltige Gärung ihn umgestaltete. Zuerst befreiten sich die Beine von den Ketten, die sie gefesselt hielten. Dann befiel die Kranke, während sie die Blutquelle, das Leben des Weibes, der Gattin und Mutter aus sich hervorsprudeln fühlte, eine letzte Beklemmung, denn eine ungeheure Last stieg ihr aus dem Unterleib in den Hals empor. Aber diesmal verflüchtigte sie sich in einem Aufschrei erhabener Freude.
    »Ich bin geheilt! ... Ich bin geheilt! ...«
    Darauf bot sich ein außerordentliches Schauspiel. Die Decke lag zu ihren

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