Lourdes
hatten.
»Ach, mein liebes Kind, welche Freude!« rief die Pflegedame, »und wie stolz bin ich, Sie in meinem Saale zu haben. Für uns alle ist es eine unverhoffte Gnade, daß die Heilige Jungfrau Sie auserwählt hat.«
Das junge Mädchen hatte eine Hand der durch das Wunder Geheilten zwischen ihren Händen behalten.
»Gestatten Sie mir, Sie meine Freundin zu nennen? Ich habe Sie so sehr bedauert und bin nun so erfreut, Sie gehen und schon kräftig und so schön zu sehen. Lassen Sie sich noch einmal von mir umarmen. Das wird mir Glück bringen.«
Marie stammelte entzückt:
»Dank, tausend Dank ... von ganzem Herzen! Ich bin so glücklich, so glücklich!«
»Oh, wir verlassen Sie nicht mehr!« nahm Frau von Jonquière wieder das Wort. »Hörst du, Raymonde? Wir wollen sie begleiten und uns mit ihr auf die Knie werfen! Und nach der Zeremonie werden wir sie wieder zurückführen.«
In der Tat schlossen sich die Damen dem Zug an und gingen an Pierres und des Paters Massias Seite hinter dem Altarhimmel bis in die Mitte des Chors, zwischen den Reihen der schon von den Abordnungen besetzten Stühle. Auf beiden Seiten des Hochaltars wurden nur die Fahnen zugelassen. Auch Marie wagte sich weiter vor und blieb mit ihrem kleinen Wagen, dessen starke Räder auf den Steinfliesen rasselten, erst unten an den Altarstufen stehen. Sie hatte den armseligen Wagen, in dem sie so viele Schmerzen erduldet hatte, dorthin gebracht, wohin der heilige Wahn ihrer Sehnsucht ihn zu ziehen geträumt hatte: in den Glanz des Hauses Gottes, damit er dort stünde als ein Beweis für das Wunder. Gleich bei ihrem Eintritt stimmte die Orgel ein Triumphlied an, in das das beglückte Volk mit donnerndem Jubel einfiel. Daraus löste sich bald eine himmlische Engelsstimme los, voll heller Freude und rein wie Kristall. Der Abbé Judaine hatte soeben das heilige Sakrament auf den Altar niedergesetzt, die Menge füllte das Schiff der Kirche ganz aus, jeder nahm seinen Platz ein, man drängte sich zusammen und wartete auf den Anfang der Zeremonie. Marie war zwischen Frau von Jonquière und Raymonde, deren Augen feucht vor Rührung waren, sogleich auf die Knie gesunken. Auch der Pater Massias, der sich nach der ungewöhnlichen nervösen Spannung, die ihn seit dem Verlassen der Grotte aufrechterhalten hatte, am Ende seiner Kraft befand, brach in Schluchzen aus, warf sich zu Boden und begrub das Gesicht in den Händen. Hinter ihnen standen Pierre und Berthaud, der immer noch die Aufsicht leitete und selbst inmitten der heftigsten Gemütsbewegungen mit spähenden Augen über die gute Ordnung wachte.
Betäubt durch das Orgelspiel, hob Pierre den Kopf und betrachtete in seiner Unruhe das Innere der Basilika. Das Kirchenschiff war eng, hoch und mit lebhaften Farben bunt bemalt. Zahlreiche Fenster überfluteten es mit Licht. Seitenschiffe waren kaum vorhanden, nur ganz verkümmert erschienen sie in einem einfachen schmalen Gang, der zwischen den Pfeilerbündeln und Seitenaltären hinführte. Dieser Umstand schien jedoch den Aufschwung des Schiffes, das Emporstreben des Steins zu dünnen Linien von kindlicher Feinheit noch zu erhöhen. Ein ganz vergoldetes, gleich einem Spitzengewebe durchsichtiges Gitter schloß den Chor ab, in dem der mit Schnitzwerk bedeckte Hochaltar aus weißem Marmor seine jungfräulich reine Pracht entfaltete. Zum Erstaunen war aber besonders der außergewöhnliche Schmuck, der die ganze Kirche zu einem von Stickereien, Juwelierwaren, Fahnen und Votivtafeln überfließenden Schaukasten umwandelte. Ein ganzer Strom von Opfergaben und Geschenken war hierher geflossen und hatte seine Flut an den Wänden abgelagert, die gleichsam von Gold, Silber, Samt und Seide rieselten. Die Kirche stellte ein von der Dankbarkeit unaufhörlich entflammtes Heiligtum dar, sie sang durch den Mund ihrer tausend Reichtümer ein ununterbrochenes Glaubens- und Danklied.
Namentlich an Fahnen war Überfluß vorhanden, sie vermehrten sich zahllos wie die Blätter an den Bäumen. Etwa dreißig waren am Gewölbe aufgehängt. Andere, die oben den ganzen Umbau ausschmückten, erschienen wie von kleinen Säulen eingerahmte Gemälde. Sie breiteten sich längs der Mauern aus, wehten im Hintergrund der Kapellen und umgaben den Chor mit einem Himmel aus Seide, Atlas und Samt. Man zählte sie nach Hunderten, der Blick ermüdete in ihrer Bewunderung. Viele waren berühmt, denn sie waren so kunstvoll gearbeitet, daß sich bedeutende Stickerinnen bemühten, sie zu Gesicht zu
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