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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Zug geht ab, beeilen Sie sich!«
    In der Tat drang inmitten des immer mehr anschwellenden Tumults der Menge deutlich ein Glockenläuten bis zu ihnen. Der Doktor wollte, nachdem er zwei Sänftenträger beauftragt hatte, bei der Leiche zu wachen, die man später, wenn der Zug nicht mehr da wäre, fortbringen würde, seine Freunde bis zu ihrem Wagen begleiten.
    Alle beeilten sich. Verzweifelt war der Abbé Judaine zu ihnen getreten, nachdem er für die Ruhe dieser empörten Seele ein kurzes Gebet gesprochen hatte. Aber als Marie, von Pierre und Herrn von Guersaint begleitet, den Bahnsteig entlang lief, wurde sie wieder von Doktor Bonamy aufgehalten, der sie triumphierend dem Pater Fourcade vorstellte.
    Der Pater zeigte das strahlende Lächeln eines Generals, den man an seinen bedeutendsten Sieg erinnert.
    »Ich weiß, ich weiß, ich war ja dabei. Meine teure Tochter, Gott hat Sie unter allen gesegnet, gehen Sie hin und preisen Sie seinen Namen.«
    Dann beglückwünschte er Herrn von Guersaint, der in seinem väterlichen Stolz göttliche Freude empfand. Wieder begannen die Ovationen. Es erhob sich ein Konzert zärtlicher Worte, verwunderte, begeisterte Bücke, wie sie dem jungen Mädchen schon am Morgen durch die Straßen Lourdes' gefolgt waren, umfingen sie auch jetzt wieder in der letzten Minute vor der Abfahrt. Die Glocke mochte noch so viel läuten, ein Kreis entzückter Pilger hatte sich um sie gebildet, und in ihrer Person schien sich der Ruhm der Pilgerfahrt, der Triumph der Religion zu verkörpern, der von nun an von allen Enden der Welt widerhallen würde. Pierre war tief bewegt, als er in diesem Augenblick die schmerzliche Gruppe bemerkte, die nebenan Herr Dieulafay und Frau Jousseur bildeten. Ihre Blicke hatten sich auf Marie gerichtet, sie wunderten sich ebenso wie die andern über die außerordentliche Genesung des schönen, jungen Mädchens, das sie kraftlos, abgemagert, mit erdfahlem Antlitz gesehen hatten. Warum denn gerade dies Kind? Warum nicht die junge Frau, die teure Frau, die sie sterbenskrank wieder fortnahmen? Ihre Verwirrung, ihre Scham schienen noch zugenommen zu haben. In dem Unbehagen, das sie als zu reiche Parias empfanden, wichen sie zurück. Ja, es war eine Erleichterung für sie, als sie, nachdem drei Sänftenträger Frau Dieulafay mit großer Mühe in das Abteil erster Klasse hineingebracht hatten, in Gesellschaft des Abbé Judaine ebenfalls verschwinden konnten.
    Schon riefen die Beamten: »Einsteigen, einsteigen!« Der Pater Massias, der mit der geistlichen Leitung des Zuges betraut war, hatte seinen Platz wieder eingenommen, und ließ den Pater Fourcade, der sich auf die Schulter des Doktor Bonamy stützte, auf dem Bahnsteig zurück. Mit lebhaftem Eifer grüßten Berthaud und Gérard noch einmal die Damen, während Raymonde zu Frau Desagneaux und Frau Volmar einstieg, die sich in einer Ecke niedergelassen hatten, und endlich lief auch Frau von Jonquière zu ihrem Wagen, an dem sie gleichzeitig mit den Guersaints anlangte. Man drängte sich, man hörte Geschrei und Rufe, einige liefen erschreckt von einem Ende des unendlichen Zuges zum andern, an den man eben die Lokomotive angehängt hatte, eine vollständig aus Kupfer gearbeitete Maschine, die wie ein Stern leuchtete.
    Pierre ließ Marie vorangehen, als Herr Vigneron, der im Galopp zurückgelaufen kam, ihm zuschrie: »Es ist gültig, es ist gültig.« Damit zeigte er, über und über rot, seine Fahrkarte und schwenkte sie hin und her. Dann lief er bis zu dem Abteil, in dem sich seine Frau und sein Sohn befanden, um ihnen die gute Nachricht mitzuteilen.
    Als Marie und ihr Vater sich niedergelassen hatten, blieb Pierre noch eine Minute bei Doktor Chassaigne, der ihn väterlich umarmte, auf dem Bahnsteig stehen. Er wollte ihm das Versprechen abnehmen, wieder nach Paris zurückzukehren und sich wieder ein wenig mit dem Dasein zu befreunden. Aber der alte Arzt schüttelte den Kopf.
    »Nein, nein, mein liebes Kind, ich bleibe... Sie sind hier und sie halten mich hier zurück.« Er sprach von seinen teuren Toten. Dann sagte er tiefgerührt, in sanftem Tone:
    »Leben Sie wohl.«
    »Nicht Lebewohl, verehrter Doktor, auf Wiedersehen!«
    »Doch, doch, Lebewohl... Sehen Sie, der Hauptmann hatte doch recht... Es gibt nichts Schöneres, als zu sterben, aber nur, um zu einem neuen Leben aufzuerstehen.«
    Der Baron Suire gab den Befehl, die weißen Fahnen am Anfang und Ende des Zuges fortzunehmen. Gebieterischer erklangen die Rufe der Beamten:

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