Lourdes
und Schwämme lagen umher. Überall waren Gepäckstücke aufgestapelt, Pakete, Körbe, Säcke, die an Kupferhaken hingen, an denen sie ohne Ruhe und Rast hin und her schaukelten. Dieselben Schwestern von Mariä Himmelfahrt, dieselben Pflegedamen waren da mit ihren Kranken, umgeben von gesunden Pilgern, die bereits unter der gräßlichen Hitze und dem unerträglichen Geruche litten. Im Hintergrunde sah man abermals das vollständig mit Frauen angefüllte Abteil. Es waren die zehn Pilgerinnen – junge und alte, alle von derselben traurigen Häßlichkeit. Sie schmiegten sich eng aneinander und sangen eifrig mit kläglicher und falscher Stimme.
»Um wieviel Uhr werden wir denn in Paris sein?« fragte Herr von Guersaint Pierre.
»Morgen, gegen zwei Uhr nachmittags, glaube ich«, antwortete der Priester.
Seit der Abfahrt betrachtete Marie ihn mit einer Miene unruhiger Besorgnis, gleichsam von einem plötzlichen Kummer heimgesucht, über den sie sich nicht aussprach. Doch fand sie in der Freude über ihre neuerworbene Gesundheit ihr Lächeln wieder.
»Eine Reise von zweiundzwanzig Stunden! Nun, es wird immerhin weniger lang und weniger hart als bei der Hinfahrt sein.«
»Wir sind jetzt auch«, fuhr ihr Vater fort, »um ein paar Personen weniger, und können es uns recht behaglich machen.«
Die Abwesenheit der Frau Maze ließ eine Ecke am Ende der Bank frei, die kleine Sophie hatte man in das Nebenabteil gewiesen, in dem der Bruder Isidor und seine Schwester Martha fehlten, die in Lourdes bei einer frommen Dame in Dienst geblieben war. Auf der andern Seite kam Frau von Jonquière und der Schwester Hyacinthe in gleicher Weise ein Platz zugute, der von Frau Vêtu. Elise Rouquet hatte man ebenfalls bei der kleinen Sophie untergebracht, so daß sie nur noch das Ehepaar Sabathier und die Grivotte bei sich behielten. Dank dieser neuen Verteilung fühlte man sich viel befreiter, man konnte sogar vielleicht ein bißchen schlafen.
Der letzte Vers des Magnifikats war gerade gesungen worden, die Damen richteten sich häuslich ein und machten es sich so bequem wie möglich. Man mußte vor allen Dingen die Zinkkannen, die voll Wasser standen und die die Bewegung der Beine hinderten, wegstellen. Die Vorhänge hatte man an allen Fenstern auf der linken Seite zugezogen, denn die Sonne schoß in schrägen Strahlen auf den Zug hernieder und drang mit glühendem Schimmer herein. Aber die letzten Gewitter mußten wohl den Staub niedergeschlagen haben, und die Nacht würde gewiß auch frisch werden. Im übrigen war auch das Maß der Leiden geringer, denn der Tod hatte die Kränksten dahingerafft. Die Kranken, die sich wiedereingestellt hatten, waren betäubt und von Ermüdung erschöpft. Die Schmerzen gingen allmählich in Empfindungslosigkeit über. Bald sollte sich der Rückschlag der Entkräftung vollziehen, der auf große moralische Erschütterungen zu folgen pflegt. Die Seelen hatten ihre Kräfte verbraucht, die Wunder waren geschehen, und nun begann die Abspannung, der Stumpfsinn einer tiefen Erleichterung.
Bis Tarbes war man sehr beschäftigt, jeder setzte sich zurecht und nahm wieder Besitz von seinem Platz. Als man Tarbes verließ, erhob sich Schwester Hyacinthe und klatschte in die Hände.
»Liebe Kinder, wir dürfen die Heilige Jungfrau nicht vergessen, die so gut gewesen ist, beginnen wir den Rosenkranz.«
Der ganze Wagen sprach nun mit ihr das erste Vaterunser durch, die fünf freudigen Mysterien: die Verkündigung Maria, die Heimsuchung Mariä, die Geburt Christi, Maria Reinigung und den wiedergefundenen Jesus. Dann stimmte man den Lobgesang: »Betrachten wir den himmlischen Erzengel« mit so lauter Stimme an, daß die Bauern auf den Äckern die Köpfe erhoben und dem Zuge nachblickten, der da singend vorüberflog.
Marie bewunderte draußen die weite Landschaft, das ungeheure Himmelszelt, das sich nach und nach von seinem Wärmedunst befreit hatte und leuchtend blau geworden war. Es war das köstliche Ende eines schönen Tages. Und ihre Blicke wandten sich wieder zurück und hefteten sich auf Pierre mit der stummen Traurigkeit, die ihre Augen schon vorher verschleiert hatte. Der Gesang war zu Ende. Frau Vincent schrie und stammelte plötzlich wirre, von Tränen erstickte Worte. »Oh, meine arme Kleine, mein Kleinod, mein Schatz, mein Leben –«
Sie war bis dahin in ihrer Ecke geblieben, als ob sie sich hätte unsichtbar machen wollen. Mit zusammengepreßten Lippen und geschlossenen Wimpern hatte sie in scheuem
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