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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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»Einsteigen, einsteigen!« Und nun entstand der größte Wirrwarr: es war die Flut der Zuspätkommenden, die verwirrt, atemlos, wie ein Strom heranbrausten. In dem Wagen zählten Frau von Jonquière und Schwester Hyacinthe ihre Leute. Die Grivotte, Elise Rouquet und Sophie Couteau waren da. Frau Sabathier hatte sich ihrem Manne gegenüber auf ihren Platz gesetzt. Sabathier wartete mit halbgeschlossenen Augen geduldig auf die Abfahrt.
    Da fragte eine Stimme:
    »Und Frau Vincent, reist sie denn nicht mit uns?«
    Schwester Hyacinthe, die sich herausbeugte und mit Ferrand, der auf der Schwelle des Gepäckwagens stand, noch ein Lächeln wechselte, rief: »Da kommt sie ja.«
    Frau Vincent überschritt die Schienengeleise und kam als letzte, verstört und außer Atem, herbeigelaufen. Sogleich sah Pierre mit unwillkürlichem Blick nach ihren Armen, sie waren leer.
    Alle Türen wurden jetzt geschlossen und klappten nacheinander zu. Die Wagen waren voll, es war nur noch das Zeichen zur Abfahrt zu geben. Zischend, rauchend ließ die Maschine in gellendem Freudenton ihr erstes Pfeifen erschallen, und in dieser Minute zerstreute die bis dahin verschleierte Sonne den leichten Nebel und überflutete den Zug mit der in vollem Goldglanze strahlenden Maschine, die nach dem Paradies der Legenden abzufahren schien. Es war eine Abfahrt voll kindlicher, göttlicher Fröhlichkeit, ohne irgendwelche Bitterkeit. Alle Kranken schienen geheilt zu sein. Wenn man sie auch so fortbrachte, wie man sie hergebracht hatte, sie schieden doch erleichtert und glücklich, wenigstens für eine Stunde. Nicht die geringste Eifersucht störte ihre Eintracht. Die nicht geheilt waren, freuten sich und triumphierten über die Genesung der anderen. An sie würde gewiß auch einmal die Reihe kommen, die geschehenen Wunder waren für sie ein förmliches Versprechen der kommenden Wunder. Am Schlusse der drei Tage voll glühender Bitten dauerte das Fieber des Wunsches ungeschwächt fort, und der Glaube der Vergessenen war noch ebenso lebendig wie zuvor, sie waren überzeugt, daß sich die Heilige Jungfrau sie zum Heil ihrer Seele einfach für später vorbehalten habe. In ihnen allen, in all diesen lebensbegierigen, armen Menschen brannte die unauslöschliche Liebe, die unbesiegliche Hoffnung. Ein letzter Ausbruch der Freude erschütterte die übervollen Wagen, ein Ungestüm außerordentlichen Glückes, das sich in Lachen und Schreien Luft machte: »Auf nächstes Jahr! Wir werden wiederkommen, wir werden wiederkommen!« Und die kleinen, fröhlichen Schwestern von Mariä Himmelfahrt klatschten in die Hände, und der Gesang der Dankbarkeit, das von achthundert Pilgern gesungene Magnifikat, stieg empor.
    »Magnificat anima mea Dominum...«
    Nun ließ der Stationsvorsteher, der sich endlich beruhigt hatte und mit schlenkernden Armen dastand, das Signal geben. Von neuem pfiff die Maschine, dann brauste sie los und rollte in der leuchtenden Sonne wie in einem Glorienscheine davon. Auf dem Bahnsteig war der Pater Fourcade, auf die Schulter des Doktor Bonamy gestützt, stehengeblieben, sein Bein verursachte ihm große Schmerzen, aber trotzdem begrüßte er noch mit einem Lächeln die Abfahrt seiner teuren Kinder, während Berthaud, Gérard und der Baron Suire eine andere Gruppe bildeten und neben ihnen Doktor Chassaigne und Herr Vigneron mit den Taschentüchern wehten. Aus den Türen der dahinfliegenden Wagen lehnten sich fröhliche Köpfe heraus, und Taschentücher flatterten ebenfalls in der von der Fahrt des Zuges bewegten Luft.
    Frau Vigneron zwang den kleinen Gustave, sein bleiches Gesicht zu zeigen. Lange Zeit konnte man der rundlichen Hand Raymondes folgen, die Grüße zurücksandte. Marie aber betrachtete bis zuletzt das zwischen dem Grün verschwindende Lourdes.
    Triumphierend, glänzend und rasselnd verschwand der Zug in der hellen Landschaft, während mit voller Stimme sich der Gesang erhob:
    »Et exsultavit Spiritus meus in Deo salutari meo.«

IV.
    Auf der Rückfahrt nach Paris rollte der weiße Zug nun wiederum dahin. In dem Wagen dritter Klasse, in dem das Magnificat, mit voller Kraft der scharfen Stimmen gesungen, das Rollen der Räder übertönte, war abermals alles überfüllt. Es war derselbe bewegliche und gemeinsame Krankensaal, den man mit einem Blick über die niedrigen Scheidewände in der Unordnung und dem Durcheinander eines improvisierten Lazaretts überschaute. Halb unter der Bank versteckt, standen die Nachtgeschirre, die Waschschüsseln, Besen

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