Lourdes
legitimistischen Familie angehörend und selbst von sehr reaktionärer Gesinnung, war er Staatsanwalt der Republik in einer Stadt des Südens, bis er am Tage nach der Veröffentlichung der Dekrete gegen die geistlichen Orden sich gewissermaßen selbst entlassen hatte durch einen aufsehenerregenden, beleidigenden Brief an den Justizminister. Er hatte die Waffen aber nicht aus der Hand gelegt, sondern war wie zum Protest der Hospitalität Notre Dame de Salut beigetreten und kam jedes Jahr nach Lourdes, überzeugt, daß die Wallfahrten der Republik unangenehm und schädlich wären, und daß Gott allein die Monarchie wieder herstellen konnte durch eines der Wunder, mit denen er in der Grotte so freigebig war. Im übrigen war er ein sehr vernünftiger Mann, er lachte gern und bewies eine liebenswürdige Barmherzigkeit für die armen Kranken, für deren Transport er während der drei Tage der nationalen Wallfahrt zu sorgen hatte.
»Also für dieses Jahr steht deine Heirat fest, mein lieber Gérard?« fragte er den jungen Mann, der neben ihm saß.
»Ohne Zweifel, wenn ich die Frau finde, die ich brauche«, antwortete dieser. »Vorwärts, Vetter! Gib mir einen guten Rat!«
Gérard de Peyrelongue, ein kleiner, magerer Mann mit rötlichbrauner Gesichtsfarbe, kräftig ausgebildeter Nase und stark hervorstehenden Backenknochen, stammte aus Tarbes, wo sein Vater und seine Mutter vor kurzem gestorben waren und ihm eine Rente von mehr als achttausend Frank hinterlassen hatten. Von starkem Ehrgeiz beseelt, hatte er in seiner Provinz die Frau nicht finden können, die er wollte, eine Frau aus einer vornehmen Familie, durch deren Verwandte er hoch steigen und es weit bringen würde. Auch er war der Hospitalität Notre-Dame de Salut beigetreten und begab sich ebenfalls jedes Jahr nach Lourdes in der unbestimmten Hoffnung, daß er dort unter der Menge der Gläubigen die Familie finden würde, deren er bedurfte, um seinen Weg in dieser Welt hienieden zu machen. Aber obgleich ihm schon mehrere junge Mädchen zu Gesicht gekommen waren, hatte doch noch keine ihn vollständig befriedigt.
»Nicht wahr, du wirst mir einen guten Rat geben ... Da ist zuerst Fräulein Lemercier, die mit ihrer Tante hierherkommt. Sie ist sehr reich, man spricht von mehr als einer Million. Aber sie stammt nicht aus unseren Kreisen, und ich halte sie für einen argen Tollkopf.«
Berthaud hob den Kopf.
»Ich habe dir schon gesagt, ich, für meine Person, ich würde Fräulein von Jonquière nehmen, die kleine Raymonde.«
»Aber sie hat ja keinen Sou.«
»Das ist wahr, kaum so viel, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber ihre Person allein genügt schon vollständig. Sie ist vortrefflich erzogen und hat keine Neigung zum Verschwenden. Das ist ausschlaggebend, denn was hat es für einen Zweck, eine Reiche zu nehmen, wenn sie alles verbraucht, was sie dir mitbringt? Und dann, siehst du, kenne ich diese Damen gut, denn ich treffe sie während des Winters in den Salons von Paris. Du darfst schließlich auch den Onkel nicht vergessen, den Diplomaten, der den traurigen Mut gehabt hat, im Dienste der Republik zu bleiben, und der aus dem Neffen machen kann, was er will.«
Einen Augenblick war Gérard in seinem Entschlusse wankend geworden.
»Nicht einen Sou! Nicht einen Sou! Nein! Das ist zu arg ... Ich will es mir lieber noch überlegen, ich habe wirklich zu große Angst!«
Diesmal fing Berthaud laut zu lachen an.
»Aha, du bist ehrgeizig, da muß man allerdings ein guter Rechner sein. Ich sage dir, du hast ein Gesandtschaftssekretariat, ehe zwei Jahre vergehen ... Die Damen befinden sich übrigens in dem weißen Zuge, den wir erwarten. Entscheide dich also, mache ihr den Hof!«
»Nein, nein ... Später! Ich will es mir erst noch einmal überlegen.«
In diesem Augenblicke wurden sie unterbrochen. Baron Suire, der schon zweimal an ihnen vorübergegangen war, ohne sie zu bemerken, hatte soeben das Kinderlachen des ehemaligen Staatsanwalts der Republik erkannt. Sofort erteilte er ihm mit unglaublicher Zungenfertigkeit verschiedene Befehle, wobei er heftig beklagte, daß man die Kranken nicht gleich nach der Ankunft in die Grotte bringen konnte wegen der frühen Morgenstunde.
Während der Baron und der Vorstand der Krankenträger die zu ergreifenden Maßregeln besprachen, drückte Gérard einem Priester die Hand, der sich neben ihm niedergelassen hatte. Der kaum achtunddreißigjährige Abbé des Hermoises war ein eleganter Weltgeistlicher, ein sorgfältig
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