Lourdes
frisierter und parfümierter, sehr liebenswürdiger und sehr vornehmer Liebling der Frauen. Er kam wie viele nur zum Vergnügen nach Lourdes. Aus seinen Augen leuchtete ein lebhafter Verstand, und seine Lippen umspielte das Lächeln eines Skeptikers, der über allen Götzendienst erhaben ist.
»Nun«, fragte er Gérard, »macht dieses Warten in der Nacht nicht einen tiefen Eindruck? Ich bin einer Dame wegen hier, einer meiner ehemaligen Beichtkinder in Paris. Ich weiß zwar nicht genau, mit welchem Zuge sie kommt, aber ich bleibe doch, so lebhaft interessiert mich das Ganze.«
Ein anderer Geistlicher, ein alter Landpfarrer, mischte sich in das Gespräch und sprach in freundlichem Tone von der Schönheit der Gegend von Lourdes. Es sei wie in einem Theater, wenn die Berge beim Aufgang der Sonne sichtbar würden, wie es gerade jetzt der Fall war.
Plötzlich geriet alles in Aufregung. Der Bahnhofsvorstand erteilte mit lauter Stimme Befehle. Der Pater Fourcade ließ den Arm des Doktors Bonamy los und trat hinzu.
»Ach, es ist wegen des Eilzugs von Bayonne, der Verspätung hat«, antwortete der Vorstand auf alle an ihn gerichteten Fragen. »Die Sache beunruhigt mich.«
In diesem Augenblick ertönte das Läutewerk von neuem, ein Bahnbediensteter eilte, eine Laterne schwingend, in die Finsternis hinaus, während in der Ferne ein Signallicht erschien.
»Ah! Diesmal ist es der weiße Zug!« rief der Stationsvorsteher. »Hoffentlich haben wir noch genügend Zeit, unsere Kranken auszuladen, bevor der Expreßzug einläuft.«
Er eilte weiter und verschwand. Berthaud rief Gérard zu sich, der eine Abteilung von Krankenträgern leitete. Sie beeilten sich, zu ihren Leuten zu kommen, bei denen sie den Baron Suire schon in voller Tätigkeit fanden. Die Krankenträger strömten von allen Seiten herbei und machten sich an ihre Arbeit. Sie zogen ihre kleinen Wagen bis an die Haltestelle des weißen Zuges, einem unbedeckten Teil des Bahnsteiges, der in tiefer Finsternis lag. Bald befand sich dort ein Lager von Kissen, Matratzen und Tragbahren, die alle auf die Kranken warteten, während Pater Fourcade, Doktor Bonamy und die anderen Geistlichen und Herren, sowie der Dragoneroffizier die Geleise überschritten, um bei der Ausladung behilflich zu sein. Noch sah man nur in weiter Ferne die Lokomotive, die einem roten, immer größer werdenden Sterne glich. Pfiffe gellten durch die Nacht. Dann schwiegen sie plötzlich, und es war nur noch das Schnauben der Lokomotive und das Rollen der Räder zu vernehmen, das allmählich immer langsamer wurde. Man hörte den Gesang, das Klagelied der Bernadette, das der ganze Zug sang, mit den Aves am Schlusse eines jeden Verses. So fuhr denn dieser Leidens- und Glaubenszug, dieser klagende und singende Zug in Lourdes ein und hielt.
Sofort wurden die Türen geöffnet, und die Pilger und die Kranken, die gehen konnten, strömten heraus und überfluteten den Bahnsteig. Die wenigen Gaslaternen beleuchteten spärlich diese armseligen Menschen in den fragwürdigen Kleidern, beladen mit allen möglichen Gepäckstücken, mit Körben, mit Mantelsäcken und Holzschachteln. Aus der aufgeregten Menschenmenge heraus, die nicht wußte, nach welcher Seite sie sich wenden sollte, ertönte wirres Geschrei, Rufe wurden laut von Leuten, die sich verloren hatten und einander suchten, während an einer andern Stelle Freunde und Verwandte sich begrüßten und umarmten. Eine Frau erklärte mit einem Blicke seliger Befriedigung: »Ich habe gut geschlafen.« Ein Kurat ging mit einem Mantelsack von dannen, einer verwachsenen Dame »Guten Erfolg!« zurufend. Die meisten machten ein betroffenes, verschlafenes und zugleich freudiges Gesicht, wie Leute, die ein Vergnügungszug auf einem unbekannten Bahnhof absetzt. Das Gedränge wurde schließlich so arg und die Verwirrung nahm bei der Finsternis derart zu, daß die Reisenden die Beamten nicht mehr verstanden, die mit lauter Stimme: »Hierher! Hierher!« riefen, um die Räumung des Bahnsteigs zu beschleunigen.
Schwester Hyacinthe war flink aus dem Wagen gestiegen, indem sie den Verstorbenen unter dem Schutze der Schwester Claire des Anges zurückließ. Sie hatte etwas den Kopf verloren und eilte nach dem Kantinenwagen, von dem Gedanken beseelt, Ferrand würde ihr helfen. Glücklicherweise traf sie dort den Pater Fourcade, dem sie den Vorfall erzählte. Er vermied es, durch irgendein Zeichen seinen Verdruß darüber kundwerden zu lassen und rief den Baron Suire herbei, der
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