Lourdes
neben Herrn Sabathier. An der Seite des Saales befand sich die Kapelle, noch voll Gipsbewurf, die Fensteröffnungen mit Brettern verschlossen. Auch andere unvollendet gebliebene Säle waren mit Matratzen belegt, auf denen sich die Kranken zusammendrängten. Schon belagerte die Menge derer, die gehen konnten, das Refektorium, einen langen Saal, dessen breite Fenster auf einen Hof gingen. Die Schwestern Saint-Frai, die Verwalterinnen des Hospitals, die auf ihren Posten geblieben waren, um die Küche zu besorgen, verteilten Schalen mit Milchkaffee und Schokolade an die von der fürchterlichen Reise erschöpften armen Frauen.
»Ruhet aus! Schöpft Kräfte!« wiederholte stets der Baron Suire, der sich überall zeigte. Ihr habt drei gute Stunden Zeit. Es ist noch nicht fünf Uhr, und die ehrwürdigen Patres haben den Befehl gegeben, erst um acht Uhr in die Grotte zu gehen, um eine allzu große Ermüdung zu vermeiden.«
Oben im zweiten Stock hatte Frau von Jonquière als eine von den ersten Besitz vom Saale Sainte-Honorine ergriffen, dessen Direktorin sie war. Sie hatte ihre Tochter Raymonde unten lassen müssen, da diese dem Dienst des Refektoriums zugeteilt war. Die Vorschrift untersagte nämlich den jungen Mädchen den Zutritt zu den Sälen, wo sie unschickliche und gar zu schreckliche Dinge hätten sehen können. Die kleine Frau Desagneaux hatte die Direktorin nicht verlassen. Sie bat sie schon um ihre Befehle, entzückt darüber, daß sie sich endlich aufopfern konnte.
»Gnädige Frau«, sagte sie, »sind alle diese Betten gut gemacht? Wenn ich Sie mit Schwester Hyacinthe noch einmal machen würde?«
Der hellgelb ausgemalte, durch die auf den Hof gehenden Fenster schlecht beleuchtete Saal enthielt fünfzehn, in zwei Reihen längs der Wände aufgestellte Betten.
»Wir wollen gleich nachsehen«, antwortete Frau von Jonquière, die in Gedanken versunken schien.
Sie zählte die Betten, sie prüfte den langen und engen Saal. Dann sagte sie mit halblauter Stimme:
»Ich werde nicht genug Platz haben. Mir sind dreiundzwanzig Kranke gemeldet, und man wird deshalb Matratzen auf die Erde legen müssen.«
Unterdessen hob Schwester Hyacinthe, die den Damen gefolgt war, die Decken in die Höhe und prüfte das Bettzeug.
»Oh, die Betten sind gut gemacht«, beruhigte sie Frau Desagneaux; »alles ist reinlich. Man sieht, daß die Schwestern Saint-Frai dagewesen sind. Der Vorrat an Matratzen ist nahebei, und wenn Sie mir helfen wollen, so können wir ohne Verzug eine Reihe davon zwischen die Betten legen.«
»Aber gewiß!« rief die junge Frau, begeistert von dem Gedanken, mit ihren hübschen weißen Armen Matratzen zu tragen.
Frau von Jonquière mußte ihren Eifer dämpfen.
»Für den Augenblick hat das keine Eile«, sagte sie. »Warten wir, bis unsere Kranken da sind ... Ich habe diesen Saal nicht gern, da er schwer zu lüften ist. Das letzte Jahr hatte ich den Saal Sainte-Rosalie im ersten Stock ... Nun, wir werden uns einrichten!«
Es trafen andere Damen ein – ein Bienenschwarm mit überflüssig vielen Arbeitsbienen, die es eilig hatten, an ihr Werk zu gehen. Die große Zahl von Krankenpflegerinnen, die aus guten Gesellschaftskreisen kamen und einen glühenden Eifer mitbrachten, in den sich ein wenig Eitelkeit mischte, war eine weitere Ursache zur Verwirrung. Es waren ihrer mehr als zweihundert. Da jede bei ihrem Eintritt in die Hospitalität von Notre-Dame de Salut ein Geschenk geben mußte, so wagte man nicht, eine von ihnen zurückzuweisen aus Furcht, die Almosen möchten versiegen. So wuchs ihre Zahl von Jahr zu Jahr. Zum Glück waren auch solche darunter, denen es genügte, das Kreuz aus rotem Tuch auf der Brust zu tragen, und die gleich nach ihrer Ankunft in Lourdes auf Ausflüge abzogen. Aber jene, die sich dem Werk widmeten, waren wirklich verdienstvoll. Sie verbrachten fünf Tage in großer Mühsal, indem sie in jeder Nacht kaum zwei Stunden schliefen und inmitten der schrecklichsten und abstoßendsten Szenen lebten. Sie waren bei Todeskämpfen anwesend. Sie verbanden Wunden. Sie leerten die Waschbecken und Gefäße und wechselten die von den Kranken getragene Wäsche. Sie brachten die Leidenden in eine andere Lage und besorgten so eine erdrückende Arbeit, an die sie nicht gewöhnt waren.
»Wo ist Frau Volmar?« fragte Frau Desagneaux. »Ich glaubte sie hier wiederzufinden.«
In sanfter Weise gebot Frau von Jonquière ihr Einhalt, gerade als ob sie von der Sache Kenntnis hätte, aber darüber schweigen
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