Lourdes
zu?«
Pierre wollte antworten, als er sich auf einmal der Konsultation seines Vetters Beauclair erinnerte sowie des vorhergesagten Wunders, das sich wie ein Blitzstrahl durch ein Aufraffen, eine höchste Anspannung des ganzen Wesens kundgeben würde. Er fühlte, wie sein Unbehagen wuchs, und begnügte sich, zu sagen:
»In der Tat, ich wäre sehr glücklich. Und Sie haben recht, es bedarf in der Unruhe dieser Welt nur des Willens, um glücklich zu sein.«
Aber er konnte nicht länger dableiben. Die Hitze wurde so groß, daß der Schweiß von den Gesichtern rann. Doktor Bonamy hatte sich daran gemacht, einem von den Seminaristen das Untersuchungsergebnis der Grivotte zu diktieren, während der Pater Dargelès die Ausdrücke überwachte und sich bisweilen erhob, um ihn einen Satz abändern zu lassen. Übrigens dauerte der Lärm um sie herum noch fort. Der Streit der Ärzte hatte eine andere Wendung genommen und bezog sich jetzt auf technische Punkte, die für den ihrem Studium unterbreiteten speziellen Fall von keinem Interesse waren. Man konnte zwischen den Bretterwänden nicht mehr atmen. Der kleine blonde Herr, der einflußreiche Pariser Schriftsteller, war unzufrieden fortgegangen, da er kein wirkliches Wunder zu sehen bekommen hatte.
Pierre sagte zum Doktor Chassaigne:
»Lassen Sie uns hinausgehen, mir wird schlecht.«
Sie traten zur nämlichen Zeit hinaus wie die Grivotte, die man entließ. Aber gleich an der Tür gerieten sie wieder in ein Menschengewühl, das sich umher drängte und stieß, um die zu sehen, an der sich ein Wunder offenbart hatte. Das Gerücht von dem Wunder mußte sich schon verbreitet haben, denn wer die Auserwählte sah, fragte sie aus und berührte sie. Sie aber mit ihren purpurroten Wangen und flammenden Augen wußte nichts anderes zu tun, als daß sie mit der Haltung einer Tänzerin wiederholte:
»Ich bin geheilt! Ich bin geheilt!«
Rufe übertönten ihre Stimme, sie wurde in den Wirbeln der lärmenden Menschenflut verschlungen und mit fortgerissen. Einen Augenblick verlor man sie aus den Augen, wie wenn sie untergegangen wäre, dann erschien sie plötzlich wieder ganz nahe bei Pierre und dem Doktor, die sich einen Weg durch die Menge zu bahnen versuchten. Da fanden sie den Hauptmann. Es war eine von seinen fixen Ideen, zu den Weihern und der Grotte hinabzugehen, um sich zu ärgern. Militärisch in seinen Überrock eingeschnürt, stützte er sich wie immer auf seinen Rohrstock mit dem silbernen Knopf. Dabei schleppte er sein linkes Bein ein wenig nach, das ein Überbleibsel der Lähmung seit der Zeit seines zweiten Schlaganfalls steif machte. Sein Gesicht war gerötet, seine Augen flammten vor Zorn, als die Grivotte ihn anstieß, um vorbeizukommen, und inmitten des entfesselten Enthusiasmus der Menge wiederum schrie:
»Ich bin geheilt! Ich bin geheilt!«
»Nun«, rief er wütend und zornig, »desto schlimmer für Sie, meine Tochter!«
Man schrie auf und fing zu lachen an, denn man kannte ihn und verzieh ihm seine wahnwitzige Leidenschaft für den Tod. Als er aber verwirrte Worte flüsterte und sagte, es sei zum Erbarmen, daß man leben wolle, wenn man weder Vermögen noch Schönheit besitze, und daß dieses Mädchen lieber sogleich hätte sterben sollen, statt weiter zu leiden, da begann man trotzdem, ihn ringsherum auszuschelten. Der Abbé Judaine, der vorbeiging, befreite ihn aus der peinlichen Lage. Er zog ihn auf die Seite.
»Schweigen Sie doch, lieber Freund!« sagte er zu ihm. »Das ist anstößig. Warum lehnen Sie sich auf gegen die Güte Gottes, der sich manchmal gnädig erweist gegen unser Elend, indem er es erleichtert? Ich sage es Ihnen nochmals: Sie selbst sollten auf die Knie niederfallen und flehen, daß er Ihnen Ihr Bein wiedergibt und Sie noch zehn Jahre leben läßt.«
Das erwürgte ihn beinahe.
»Ich, ich soll noch zehn Jahre begehren, da doch mein schönster Tag der sein wird, an dem ich abfahre? Ich soll ebenso gemein, ebenso feig sein wie diese Tausende von Kranken, die ich hier der Reihe nach vorbeikommen sehe, von einem niederträchtigen Schrecken vor dem Tod befangen, heulend vor Schwäche und ihrer unaussprechlichen Sucht, leben zu wollen? O nein! Ich müßte mich zu sehr verachten! Daß ich doch verreckte, und zwar auf der Stelle! Es muß so schön sein, nicht mehr zu leben!«
Endlich befand er sich mit Doktor Chassaigne und Pierre außerhalb des Getümmels der Pilger und am Ufer des Gave. Er wandte sich an den Doktor, dem er oft begegnete.
»Haben
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