Lourdes
Fenster, durch die die schwüle Hitze der Augustnacht hereinzog. Schatten huschten vorüber, vom Alpdrücken erpreßte Schreie wurden laut und bevölkerten diese Hölle der nächtlichen Qualen.
Jetzt sah Pierre Raymonde, die nach Beendigung ihres Dienstes ihre Mutter begrüßen wollte, ehe sie hinaufstieg, um in einer den Schwestern vorbehaltenen Mansarde sich ins Bett zu legen. Frau von Jonquière selbst, die ihr Vorsteherinnenamt sehr ernst nahm, schloß drei Nächte lang die Augen nicht. Sie hatte wohl einen Sessel, um sich darauf auszustrecken, aber sie konnte keinen Augenblick darin sitzen, ohne gestört zu werden. Im übrigen wurde sie von der kleinen Frau Desagneaux unterstützt, die einen so übermäßigen Eifer bewies, daß Schwester Hyacinthe lächelnd zu ihr gesagt hatte: »Aber warum werden Sie denn keine barmherzige Schwester?« – »Nein!« antwortete sie, »ich kann ja nicht, ich bin verheiratet und bete meinen Mann an!« – Frau Volmar hatte sich nicht einmal gezeigt. Man sagte, Frau von Jonquière habe sie zu Bett geschickt, weil sie über eine heftige Migräne klagte. Das hatte Frau Desagneaux außer sich gebracht, denn sie rief laut, mit welchem Recht man hierherkäme, um die Kranken zu pflegen, wenn man selber nicht kräftig sei. Trotzdem begann auch sie, ihre Arme und Beine zu fühlen, wenn sie es auch nicht zugestehen wollte, auf die geringste Klage herbeilief und stets zu Helfen bereit war. Sie, die in Paris eher einem Bedienten geklingelt als einen Leuchter von der Stelle gerückt hätte, ging mit den Geschirren und Waschbecken hin und her, leerte die Nachtstühle und hob die Kranken mit der vollen Kraft ihrer Arme in die Höhe, während Frau von Jonquière ihnen die Kopfkissen hinter den Rücken schob. Aber als es elf Uhr schlug, da war sie wie zerschlagen. Sie hatte die Unklugheit begangen, sich einen Augenblick, von Müdigkeit übermannt, im Sessel auszustrecken. Sie schlief auf der Stelle ein. Ihr hübscher Kopf inmitten der verblüffend reichen Flut ihrer wunderbaren blonden Haare war auf die eine Schulter gesunken, und nichts mehr vermochte sie zu wecken.
Frau von Jonquière war behutsam wiedergekommen und sagte dem jungen Priester:
»Ich hatte wohl daran gedacht, Herrn Ferrand holen zu lassen, Sie wissen, den internen Arzt, der uns begleitet, er hätte dem armen Fräulein irgend etwas gereicht, um sie zu beruhigen. Aber er ist unten im Saal der Haushaltungen beim Bruder Isidor beschäftigt. Und dann wissen Sie, wir lassen hier niemand ärztlich behandeln. Wir kommen nur, um unsere lieben Kranken in die Hände der Heiligen Jungfrau zu legen.«
Schwester Hyacinthe, die entschlossen war, die Nacht bei der Vorsteherin zuzubringen, näherte sich.
»Ich komme aus dem Saal der Haushaltungen herauf«, sagte sie, »wohin ich Herrn Sabathier Orangen zu bringen versprochen hatte. Dort habe ich Herrn Ferrand gesehen, dem es gelungen ist, den Bruder Isidor wieder zu beleben. Wünschen Sie, daß ich noch einmal hinuntergehe, um ihn zu holen?«
Aber Pierre widersetzte sich dem.
»Nein, nein! Marie wird schon vernünftig werden. Ich werde ihr gleich einige schöne Geschichten vorlesen, das wird sie beruhigen.«
Marie blieb immer noch stumm. An der Wand befand sich eine von den zwei Laternen, und Pierre sah ganz deutlich ihr schmales Antlitz, das unbeweglich war wie Stein. Drüben im nächsten Bett sah er den Kopf der in tiefen Schlaf versunkenen Elise Rouquet. Sie hatte kein Tuch um und streckte ihr abscheuliches Gesicht, dessen fürchterliche Wunde doch etwas blasser geworden war, in die Luft. Zu seiner Linken hatte er die entkräftete, für unheilbar erklärte Frau Vêtu; sie konnte keinen Augenblick Schlaf finden, da sie von einem ununterbrochenen Röcheln erschüttert wurde. Er sagte ihr einige freundliche Worte, und sie dankte ihm mit einer Bewegung des Kopfes. Endlich sagte sie, indem sie ihre letzten Kräfte zusammennahm, ganz leise:
»Es fanden heute mehrere Heilungen statt, ich war sehr erfreut darüber.«
In der Tat hörte die auf einer Matratze zu Füßen des nämlichen Bettes liegende Grivotte nicht auf, sich in außerordentlicher Regsamkeit in die Höhe zu richten, um jedem, der kam, ihren Ruf zu wiederholen:
»Ich bin geheilt! Ich bin geheilt!«
Und sie erzählte, sie, die seit Monaten nicht mehr aß, hätte ein halbes Huhn verzehrt. Dann hatte sie während zweier Stunden die Fackelprozession begleitet. Sicherlich hätte sie auch bis zum Morgen getanzt, wenn die Heilige
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