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Love Alice

Love Alice

Titel: Love Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nataly Elisabeth Savina
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stabilisiert und vervollständigt die Hütte. Solange es kalt ist, behalten die Tannen ihre Nadeln und bleiben frisch. Und wenn eines Nachts noch mal Schnee fällt, wird die Hütte perfekt. Heute graben wir ein Loch in die Erde, direkt vor dem Eingang. An unseren Handschuhen haften Eiskristalle voller Schmutz, die harte Erde lässt sich kaum lockern. Trotz aller Mühen mit Stöcken und Steinen bleibt die Vertiefung flach.
    »Was tun wir rein?«, frage ich.
    Meine Nase tropft. Cherry stapft davon, holt ihr Heft und blättert darin, bis sie die Spielkarte findet. Die Herzdame. Cherry reicht mir die Karte, ich gebe ihr eine runde Glasscheibe. Sie sieht sie sich mit einer Kennermiene an, dann schaut sie mich durch die Scheibe an, wie ich verzerrt und grün auf dem Boden kauere und immer noch versuche, unser Loch mit dem Stock zu vergrößern.
    »Absinth Taboo«, sagt Cherry und erwidert meinen verständnislosen Blick: »Na, die Flasche von der Glasscherbe.«
    Ich lege die Herzdame in das Erdloch. Cherry drückt das Glas darauf. Dann krümeln wir ein wenig Erde darauf und sehen uns das konservierte Bild der Spielkartendame an. Cherry stampft die Glasscherbe vorsichtig mit dem Stiefelabsatz fest, dann schieben wir noch mehr Erde darauf und klopfen die Stelle mit den Handflächen glatt. Das ist unser Geheimnis.
    Wir setzen uns vor die Hütte. Ich breite die Decken, die Cherry besorgt hat, aus und lege mich in den Schnee.
    »Irgendwo im Wald wurde ein Mädchen vergewaltigt«, sagt Cherry auf einmal.
    »Es war aber nicht hier in der Nähe.«
    Mein Hintern und mein Rücken nehmen die Kälte des Bodens auf. Die Vorstellung, jemand hätte sich mitten im Eiswinter gewaltsam Zugang zur warmen Haut eines Mädchens verschafft, kommt mir fremd vor.
    Cherry sieht an mir vorbei.
    »Ihre Freundin hat er an einen Baum gebunden und sie musste die ganze Zeit zuschauen«, erzählt sie.
    »Hat sie nicht um Hilfe gerufen?«, frage ich.
    »Das ging nicht, er hat sie geknebelt«, sagt Cherry.
    Gemeinsam denken wir nach, wie sich so etwas abspielen kann, dass ein Mädchen gefesselt wird, während ihre Freundin dabei ist.
    »Woher weißt du das alles?«, frage ich.
    »Hab ich gehört, stand in der Zeitung«, sagt Cherry und verzieht das Gesicht. »Meine Zähne tun weh, wenn ich spreche«, sagt sie. »Kalt!«
    »Ich weiß nicht, wenn man zu zweit ist, geht das doch gar nicht. Man kann doch nicht gleich zwei festhalten. Glaube ich irgendwie nicht«, sage ich nachdenklich.
    Ich stelle mir vor, wie eine dunkle Gestalt ein dünnes Mädchen mit einem Paketseil an einen Baum bindet. Der Böse ist in meiner Vorstellung dick wie der Scherzartikeltyp. Er läuft immer wieder im Kreis um den Baum, bis das Mädchen unbeweglich wie eine Raupe an dem Stamm klebt. Und irgendwo im Hintergrund steht ihre Freundin, ein fragiles Persönchen in bunten Klamotten, ein bisschen wie Nesrin.
    »Es sind doch auch zwei verschwunden«, sagt Cherry.
    »Ja, aber nicht zusammen. So etwas passiert immer wieder. Meine Mutter liest dauernd darüber, es zieht sie total runter«, sage ich.
    Cherry und ich überlegen, ob es sicherer wäre, auf einer Insel ohne Männer zu leben. Weil es fast immer Männer sind, die diese bösen Dinge machen. Obwohl es auch Frauen gibt, die Kinder schlagen oder töten. Aber wir haben noch von keiner Frau gehört, die Teenies tötet oder verschwinden lässt. Wir malen uns die Insel aus. Micha wäre nicht dabei. Auch Cherrys Karatelehrer nicht. Und eigentlich ist Kerkko ganz nett.
    »Und Andy«, sage ich.
    Cherry bewirft mich mit Schnee: »Der ist voll eklig, Mann!«
    Dennoch steht fest, dass eine Insel überhaupt keine Lösung wäre.
    »Hast du Angst vor dem Tod?«, frage ich Cherry.
    »Nein. Dafür bin ich zu lebendig«, sagt sie.
    »Es sind einfach nur Monster«, sage ich.
    »Jedes Unglück geschieht durch Unachtsamkeit. Das ist eine feste Karateregel«, sagt Cherry, »man muss eben aufpassen.«
    Wir beschließen, unser Geheimnis zu testen, und graben ein kleines Guckloch in die Erde, wo wir die Karte versteckt haben. Mit bloßen Fingern streiche ich die letzten Erdkörnchen von der Glasscheibe weg. Langsam kommt die Spielkarte zum Vorschein.
    »Die Herzkönigin. Sie sieht aus wie meine Mutter«, sagt Cherry.
    »Wie eine Fee«, sage ich.
    Cherry bringt ihr Gesicht ganz nah an den Glassplitter, atmet warm darauf und wischt das beschlagene Bild wieder frei.
    »Vielleicht geht es ja doch, wenn es so Hühner wie Tuula und Nesrin sind. Die würden gar

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