Love Train
Maarten.«
Ich verdrehte bloà die Augen.
»Apropos«, fuhr Juli unbeirrt fort, während sie vor mir die Treppen hinuntersprang. »Maarten lädt uns zum Frühstück ein.«
»Und wer ist Maarten?«, hakte ich mit einem unüberhörbaren Stöhnen nach.
»Ich hab ihn gestern in einem Club kennengelernt. Er studiert Kunst und jobbt in einem Café an der Keizersgracht . Und er ist total nett.«
Ich verkniff mir die Bemerkung, dass nett bekanntlich der kleine Bruder von sch⦠ist, und eilte meiner Schwester nach, die auf ihren Sandalen mit mindestens sechs Zentimetern Absatz ein beachtliches Tempo vorlegte. Es war nicht weit bis zur Keizersgracht , und als wir vor dem schwarzen Backsteinbau ankamen, der das Bagelcafé beherbergte, war ich schon fast wieder mit meiner männermordenden Schwester versöhnt. Es gab nicht nur einen groÃen Milchkaffee â der auf Holländisch koffie verkeerd heiÃt, wie mir der wirklich sehr nette Maarten erklärte â, sondern auch einen freien Tisch in der Sonne direkt an der Gracht.
Während Juli noch ein bisschen mit ihrer neuesten Erobe rung flirtete, streckte ich mein Gesicht in die Sonnenstrahlen, kniff die Augen halb zusammen und schlürfte gierig meinen viel zu heiÃen, »verkehrten« Kaffee. Das war Urlaub nach meinem Geschmack!
»Das ist wirklich Wahnsinn!«, riss Julis Stimme mich aus meinen Tagträumereien, in denen natürlich vor allem Joey eine Rolle spielte. Unwillig wandte ich ihr meine Aufmerksamkeit zu.
»Die Mädels hier sehen alle aus, als kämen sie direkt vom Laufsteg«, lieà meine Schwester mich an ihrer Begeisterung teilhaben. Ich folgte Julis Blick und entdeckte eine Gruppe junger Frauen, die sich gerade an den Nachbartisch setzten. Juli hatte recht. Die fünf wirkten wie eine Abordnung aus »GNTM« oder einer anderen Model-Castingshow, was allerdings weniger an ihrem guten Aussehen als an ihrem lässigen Street Style lag.
»Ist dir auch schon aufgefallen, dass die Holländer einfach mehr Stil haben als die Deutschen?«, ereiferte sich Juli weiter. »Ich meine, natürlichen Stil. Da kommen die deutschen Möchtegern-Fashionistas im Leben nicht ran.« Elegant schlug Juli ihre nackten Beine übereinander. Ich fand, dass sie mit ihrem eigenen Outfit den Damen am Nebentisch durchaus Konkurrenz machte, allerdings hätte ich mir lieber auf die Zunge gebissen, als meiner Schwester ein Kompliment zu machen.
»Tja«, sagte ich stattdessen spitz. »Das richtige Outfit allein macht noch kein Model.«
Juli zuckte fast unmerklich zusammen. Ich wusste, dass ich ihren wunden Punkt getroffen hatte. Seit sie zwölf Jahre alt war und Werbeaufnahmen für einen Aldi-Prospekt machen durfte, träumt meine Schwester von einer Modelkarriere. Aber dafür ist sie einfach zu klein (1,69 Meter behauptet sie, ich tippe allerdings auf fünf Zentimeter weniger). Selbst bei Heidi Klums Casting-Show ist Juli deswegen schon in der Vorrunde rausgeflogen.
»Bist du bald fertig?«, wechselte Juli säuerlich das Thema. »Wir haben heute noch viel vor.«
»Haben wir?« Ich hatte eigentlich nur eins vor: Ich wollte mir gern das Anne-Frank-Haus anschauen.
»Hallo? Wir sind in Amsterdam! Du wirst doch nicht nach Hause fahren wollen, ohne das Rotlichtviertel gesehen zu haben.«
Doch, eigentlich hätte ich darauf gut verzichten können, aber Juli war bereits aufgesprungen und abmarschbereit. Wir nahmen die Tram zurück zum Bahnhof und machten uns von dort zu Fuà auf den Weg. Es war später Vormittag, und ich hatte die Hoffnung, dass um diese Zeit in besagtem Viertel noch nicht viel los sein würde, doch leider hatte ich mich getäuscht. In den kleinen Kopfsteinpflastergassen wimmelte es bereits von Touristen und die roten Neonreklamen über den Eingangstüren zu Clubs und Bars leuchteten uns entgegen und verkündeten wahlweise: »Sex« oder »Love«.
»Als ob das hier irgendetwas mit Liebe zu tun hätte«, beschwerte ich mich.
»Was weiÃt du denn schon von Liebe?«, konterte Juli. Seit meiner Breitseite über ihre Modelambitionen war sie nicht so gut auf mich zu sprechen. Doch zu dieser Frage hatte ich eine klare Meinung, obwohl â oder gerade weil â meine eigenen Erfahrungen sich auf das eine Mal mit Mädchenschwarm Marco Messmann beschränkten (eine Erfahrung, die ich auf keinen Fall
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