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Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schon? Zumindest konnte sie noch durch die Nase atmen. Darunter war Blut angetrocknet, das aus beiden Seiten an den Mundwinkeln vorbeigelaufen war und aussah wie ein grotesker Fu-Man chu-Bart. Guck mal, Ma, ich bin ein Biker, versuchte sie zu sagen, aber die Worte wollten nicht richtig herauskommen. Der Witz war ohnehin beschissen.
    Ihre Lippen waren so stark geschwollen, dass die Innensei ten nach außen gestülpt waren, wodurch in ihrem zerschla genen Gesicht ein bizarrer Komm-und-küss-mich-Schmoll mund saß.
    Wollte ich in dieser Verfassung nach Greenlawn, wo der berühmte Hugh Alberness residiert? Hatte ich das tatsächlich vor? Ziemlich komisch – nach dem ersten Blick würden sie einen Krankenwagen rufen, um mich in eine richtige Klinik bringen zu lassen, in der es eine Intensivstation gibt.
    Das hast du nicht wirklich gedacht. In Wirklichkeit hast du gedacht …
    Aber sie verfolgte diesen Gedankengang nicht weiter, weil ihr einfiel, was Scott immer gesagt hatte: Achtundneunzig Prozent von allem, was in den Köpfen der Leute vorgeht, geht sie einen verschmickten Dreck an. Das mochte stimmen oder nicht; jedenfalls war sie gut beraten, wenn sie diese Sache so anging, wie sie die Treppe bewältigt hatte: mit gesenktem Kopf und Schritt für Schritt.
    Lisey erlebte einen weiteren schlimmen Augenblick, als sie das Vicodin nicht finden konnte. Sie war schon kurz davor aufzugeben, weil sie dachte, eine der drei jungen Frauen, die beim Frühjahrsputz geholfen hatten, könnte das Fläschchen mitgenommen haben. Aber dann entdeckte sie es doch hinter Scotts Multivitaminpräparat. Und, Wunder über Wunder, das Verfallsdatum auf diesen Babys war genau dieser Monat.
    »Spare in der Zeit, so hast du in der Not«, sagte Lisey und schluckte drei Vicodin. Dann füllte sie die Plastikwanne mit lauwarmem Wasser und warf eine Handvoll Teebeutel hinein. Als sie auf den Boden des sich verfärbenden Wassers hinab sanken, erinnerte sie sich an einen jungen Mann, der gesagt hatte: Es brennt ein bisschen, aber es funktioniert richtig rich tig gut. Das war in einem anderen Leben gewesen. Jetzt konn te sie es selbst ausprobieren.
    Sie nahm einen sauberen Waschlappen von der Stange neben dem Waschbecken, warf ihn in die Wanne und wrang ihn halb aus. Was tust du, Lisey?, fragte sie sich … aber die Antwort lag auf der Hand, nicht wahr? Sie folgte weiter der Spur, die ihr toter Mann für sie gelegt hatte.
    Sie ließ ihre zerrissene Bluse auf die Fliesen gleiten und drückte den mit schwachem Tee getränkten Waschlappen an ihre Brust, wobei sie im Voraus das Gesicht verzog. Die Lö sung brannte natürlich, aber im Vergleich zum Nesselbrennen ihres eigenen Schweißes war dies ein fast angenehmes Bren nen wie von adstringierendem Mundwasser auf einem Mund geschwür.
    Es wirkt. Es wirkt richtig richtig gut, Lisey.
    Damals hatte sie das geglaubt – halbwegs –, aber damals war sie zweiundzwanzig und bereit gewesen, alles Mögliche zu glauben. Woran sie jetzt glaubte, war Scott. Und Boo'ya-Mond? Ja, daran glaubte sie wohl auch. Eine Welt, die gleich nebenan wartete – und hinter dem purpurroten Vorhang in ihrem Verstand. Die Frage war nur, ob diese Welt für die Ge fährtin des berühmten Schriftstellers erreichbar sein würde, nachdem der berühmte Schriftsteller tot und sie auf sich allein gestellt war.
    Lisey wrang Blut und Tee aus dem Waschlappen, tauchte ihn nochmals ein und legte ihn wieder auf ihre verletzte Brust. Diesmal war das Brennen schon viel schwächer. Aber dies ist kein Heilmittel, dachte sie. Nur ein weiterer Meilen stein auf der Straße in die Vergangenheit. Laut sagte sie: »Ein weiteres Bool.«
    Während sie den Waschlappen weiter sanft auf ihre Haut drückte und das blutige Quadrat des Africans – Good Mas Freudenstück – in der unter ihrer Brust liegenden anderen Hand hielt, kehrte Lisey langsam ins Schlafzimmer zurück, setzte sich aufs Bett und betrachtete den silbernen Spaten mit der auf der Schaufel eingravierten Inschrift ERSTER SPA TENSTICH – SHIPMAN LIBRARY. Ja, sie konnte tat sächlich eine kleine Delle sehen, wo der Spaten erst Blondies Pistole und dann Blondies Gesicht getroffen hatte. Sie hatte den Spaten, und obwohl die gelbe Häkeldecke, in die Scott sich damals in den eisigen Winternächten des Jahres 1996 gehüllt hatte, längst nicht mehr existierte, besaß sie immerhin einen Teil davon, dieses Freudenstück.
    Bool, das Ende.
    »Ich wollte, es wäre das Ende«, sagte Lisey und ließ sich mit dem

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