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Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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abgehauen.
    Und was hatte seine tödliche Krankheit verursacht? Auf dem Totenschein stand Lungenentzündung, und dagegen hatte sie nichts einzuwenden. Hätten die Ärzte Von Enten tot gepickt geschrieben, wäre er genauso tot gewesen – aber Lisey fragte sich trotzdem, wie es passiert sein mochte. War sein Tod in einer Blume gewesen, die er gepflückt hatte, um daran zu riechen, oder in einem Insekt, dessen Stechrüssel durch seine Haut gedrungen war, während die Sonne von drama tischen Wolkengebilden umgeben blutrot versank? Hatte er sich bei einem Kurzbesuch in Boo'ya-Mond eine Woche oder einen Monat vor der Lesung in Kentucky infiziert? Oder hatte die Infektion seit Jahrzehnten wie eine Uhr in seinem Körper getickt? Er konnte sie sich durch einen einzigen Erdkrümel unter einem Fingernagel zugezogen haben, während er das Grab seines Bruders gegraben hatte. Nur ein einziger Infek tionskeim, der jahrelang inaktiv gewesen war, um schließlich zu erwachen, als Scott eines Tages am Computer befriedigt mit den Fingern geschnalzt hatte, weil ihm endlich das lang gesuchte Wort eingefallen war? Vielleicht – ein schrecklicher Gedanke, aber wer konnte das schon wissen? – hatte sie die Infektion sogar von einem ihrer Besuche mitgebracht: einen tödlichen Keim in einem Körnchen Blütenstaub, das er von ihrer Nasenspitze geküsst hatte.
    Ach Scheiße, jetzt weinte sie doch.
    In der linken oberen Schreibtischschublade hatte sie eine ungeöffnete Schachtel Kleenex gesehen. Sie nahm sie heraus, riss sie auf, zog mehrere Kosmetiktücher heraus und trocknete sich damit die Augen. Im anderen Raum hörte sie Timothy Bottoms brüllen: »Fegen wollte er, ihr Schweinehunde, fegen wollte er!«, und wusste, dass die Zeit wieder einen dieser hässlichen Krähenhüpfer vorwärts gemacht hatte. In dem Film gab es nur noch eine Szene. Sonny geht zur Frau des Footballtrainers zurück. Zu seiner weit älteren Geliebten. Dann beginnt der Abspann.
    Das Telefon auf dem Schreibtisch ließ ein kurzes Ting! hö ren. Was das hieß, wusste Lisey so sicher, wie sie gewusst hatte, was Scott meinte, als er kurz vor seinem Tod diese schwache kreisende Bewegung gemacht hatte, die alles beim Alten be deutete.
    Das Telefon war tot, die Leitungen gekappt oder herausge rissen. Dooley war hier. Der Schwarze Fürst der Inkunks war gekommen, sie zu holen.

XV LISEY UND DER LONG BOY
    (Pafko an der Wand)
    1 »Amanda, komm her!« »Gleich, Lisey, der Film ist fast …«
    »Amanda, sofort!«
    Sie nahm den Telefonhörer ab, überzeugte sich von der Leere darin, knallte ihn wieder auf die Gabel. Sie wusste über alles Bescheid. Dieses Wissen schien seit Langem in ihrem Kopf zu liegen wie der süße Geschmack in ihrem Mund. Als Nächstes würde das Licht ausfallen, und wenn Amanda nicht herüberkam, bevor er auch diese Leitung zer schnitt …
    Aber da war sie, stand zwischen der Fernsehnische und dem langen Hauptraum und sah plötzlich ängstlich und alt aus. Auf dem Bildschirm würde die Frau des Trainers bald die Kaffeekanne an die Wand werfen, weil sie sich darüber ärger te, dass ihre Hände zu sehr zitterten, als dass sie ruhig hätte einschenken können. Lisey war nicht überrascht, als sie sah, dass auch ihre Hände zitterten. Sie griff nach dem kleinen Revolver. Als Amanda das sah, wirkte sie verängstigter als je zuvor. Wie eine Lady, die jetzt eigentlich doch lieber in Philadelphia gewesen wäre. Oder katatonisch in Greenlawn. Zu spät, Manda, dachte Lisey.
    »Lisey, ist er hier?«
    »Ja.«
    In der Ferne grollte Donner, der zustimmend klang.
    »Lisey, woher weißt du …«
    »Weil er die Telefonleitung gekappt hat.«
    »Das Handy …«
    »Liegt im Auto. Als Nächstes wird das Licht ausfallen.« Sie erreichte das Ende des riesigen Schreibtisches aus Rotahorn – wirklich Dumbo's Big Jumbo, dachte sie, auf dem verschmick ten Ding könnte fast ein Düsenjäger landen – und konnte jetzt geradeaus auf ihre Schwester zugehen, vielleicht noch acht Schritte über den cremeweißen Teppichboden mit den rötlich braunen Spuren ihres eigenen Bluts.
    Als sie Amanda erreichte, brannte das Licht noch, und Lisey begann einen Augenblick lang zu zweifeln. War es nicht denkbar, dass ein bei dem nachmittäglichen Gewitter losge rissener Ast endlich heruntergefallen war und die Telefon leitung zerrissen hatte?
    Klar wäre das möglich, aber das ist hier nicht passiert.
    Sie versuchte, Amanda den Revolver zu geben. Amanda wollte ihn nicht nehmen. Er plumpste auf den

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