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Love

Love

Titel: Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schon in den bunten Kitteln, die sich später in ihrem Beruf durchsetzen werden, aber die meisten tragen noch weiße Kleider, weiße Strümpfe und die kleinen Häubchen, bei denen Lisey immer an ausgestopfte Tauben denken muss. Zwei Ärzte – jedenfalls vermutet sie, dass es sich um Ärzte handelt, obwohl einer von ihnen so jung wirkt, als ob er sich noch nicht rasieren müsste – unterhalten sich am Trinkwasserspender. Die Kachelwände sind kühl und grün. Die Tageshitze findet hier drinnen keinen Halt. Lisey nimmt an, dass es hier zusätzlich zu den Ventilatoren eine Klimaanlage gibt, die sie jedoch nicht hören kann.
    Nicht im Traum, natürlich nicht, sagt sie sich, und das klingt vernünftig. Vor ihr liegt Zimmer 319, in dem Scott sich von der Operation erholt, bei der die Kugel herausgeschnitten wurde. Sie hat keine Mühe, die Tür zu erreichen, entdeckt aber, dass sie zu hoch fliegt, um hindurchzugelangen. Und sie will dort hinein. Sie ist nie dazu gekommen, ihm zu versi chern: Um den ganzen Scheiß hier kannst du dich später kümmern – aber war das überhaupt nötig? Scott Landon ist schließlich nicht gestern vom Heuwagen gefallen. Die wahre Frage scheint zu sein: Mit welchem Zauberwort bringt man einen fliegenden Teppich der Marke PILLSBURY'S BEST dazu, an Höhe zu verlieren?
    Es fällt ihr ein. Aber es ist kein Wort, das sie aus ihrem Mund hören möchte (es ist ein Blondie-Wort), aber Not kennt kein Gebot – auch das hat Daddy gesagt –, also …
    »Freesien«, sagt Lisey, und das unter der Stationsdecke schwebende verblichene Tuch mit den verknoteten Ecken sinkt gehorsam einen Meter tiefer. Sie blickt durch die offene Tür und sieht Scott, der vor ungefähr fünf Stunden operiert worden ist, in einem schmalen, aber überraschend hübschen Bett mit elegant geschwungenem Kopf- und Fußteil liegen. Moni tore, die wie Anrufbeantworter klingen, quäken und piepen. Zwei Plastikbeutel mit durchsichtigen Flüssigkeiten hängen an einem verchromten Ständer zwischen ihm und der Wand. Er scheint zu schlafen. Auf der Bettseite gegenüber sitzt Lisey von 1988 und hält seine Hand. In der anderen Hand hält Lisey von 1988 den Taschenbuchroman, den sie nach Tennessee mitgenommen hat – ohne zu ahnen, dass sie darin so weit kommen würde. Scott liest Leute wie Borges, Pynchon, Tyler und Atwood; Lisey liest Maeve Binchy, Colleen McCullough, Jean Auel (obwohl sie allmählich die Geduld mit Ms. Auels ständig geilen Höhlenmenschen verliert), Joyce Carol Oates und in letzter Zeit auch Shirley Conran. In Zimmer 319 hält sie Savages, den neuesten Roman dieser Autorin, in der Hand. Lisey gefällt das Buch sehr gut. Sie ist gerade an der Stelle, wo die im Dschungel gestrandeten Frauen lernen, ihre BH s als Schleudern zu verwenden. Das viele Lycra. Lisey weiß nicht, ob Amerikas Liebesromanleserinnen auf dieses neueste Werk von Ms. Conran vorbereitet sind, aber sie findet es tapfer und auf seine Art ziemlich schön. Ist Tapferkeit nicht immer ir gendwie schön?
    Das letzte Tageslicht ergießt sich in einer rotgoldenen Flut durchs Fenster in den Raum. Es wirkt drohend und prächtig zugleich. Lisey von 1988 ist emotional und körperlich sehr müde und hat den Süden echt satt. Sie fürchtet, dass sie einen Schreikrampf bekommt, wenn sie noch einmal die Anrede »ihr Leute« hört. Das Gute daran? Sie glaubt nicht, dass sie so lange hier sein wird, wie die anderen glauben, weil … nun, sie weiß aus Erfahrung, dass Wunden bei Scott rasch heilen, be lassen wir's dabei.
    Bald wird sie zurück ins Motel fahren und nach dem Zimmer fragen, das sie zuvor hatten (Scott mietet ihnen fast im mer einen Zufluchtsort, selbst wenn der Gig nur etwas ist, was er »das alte Rein-raus-Spiel« nennt. Sie ahnt bereits, dass man ihr das Zimmer nicht geben wird – in Begleitung eines Mannes, ob berühmt oder nicht, wird man ganz anders behandelt –, aber das Motel liegt relativ günstig zum Kranken haus und zur Universität, und wenn sie dort irgendein Zim mer kriegt, ist ihr alles andere scheißegal. Dr. Sattherwaite, Scotts behandelnder Arzt, hat ihr gesteckt, dass sie den Reportern entgehen kann, indem sie heute und an den nächsten Tagen den Hinterausgang benutzt. Er sagt, dass Mrs. McKinney am Empfang ein Taxi an die Ladebucht der Cafeteria bestellt, sobald »Sie ihr signalisieren, dass Sie wegfahren möchten«. Sie wäre längst weg, aber Scott ist seit ungefähr einer Stunde ruhelos. Sattherwaite hat gesagt, dass er mindestens bis

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