Love
Ein echter Scherz Marke Lisey. Sie hatte vorgehabt, sich dort ein kleines Büro einzu richten, wo sie Unterlagen aufbewahren und die monatlichen Rechnungen überweisen konnte (Scott und sie hatten einen hauptberuflichen Vermögensverwalter gehabt, den sie noch immer hatte, aber der war in New York und konnte sich nicht um Bagatellen wie ihre Monatsrechnung vom hiesigen Lebensmittelladen kümmern). Sie hatte das Büro noch mit Schreibtisch, Telefon, Fax und ein paar Aktenschränken ausstatten können … und dann war Scott gestorben. War sie seither noch einmal darin gewesen? Ein Mal, soweit sie sich erin nerte. Im frühen Frühjahr. Ende März, als noch Schneebänder zwischen den keimenden Saaten geleuchtet hatten, war sie nur hineingegangen, um den Speicher des Anrufbeantworters zu leeren. Die blinkende Anzeige des Geräts hatte auf 21 ge standen. Die Nachrichten 1 bis 17 und 19 bis 21 waren Wer-beanrufe gewesen, von »Telefonläusen«, wie Scott sie genannt hatte. Der achtzehnte Anruf stammte (was Lisey nicht im Geringsten überraschte) von Amanda. »Ich wollte bloß wissen, ob du dieses verdammte Ding jemals angeschlossen hast«, hatte sie gesagt. »Du hast Darla, Canty und mir die Nummer gegeben, bevor Scott gestorben ist.« Pause. »Anscheinend hast du's getan.« Pause. »Das Ding angeschlossen, meine ich.« Pause. Dann sehr rasch: »Aber nach der Ansage kam ewig kein Piepton, oje, du musst einen Haufen Nachrichten gespeichert haben, kleine Lisey, du solltest das verdammte Ding gelegentlich abhören – für den Fall, dass jemand dir 'nen Satz Spode oder so was schenken will.« Pause. »Also dann, bye!«
Als Lisey jetzt vor der geschlossenen Bürotür stand und der Schmerz hinter dem rechten Auge im Gleichtakt mit ihrem Herzschlag pulsierte, hörte sie das Telefon ein zweites und drittes Mal klingeln. Mitten im fünften Klingelzeichen war ein Klicken zu hören, dann teilte ihre eigene Stimme dem oder der Anrufenden mit, dass dies der Anschluss Nummer 727-5932 war. Es gab kein trügerisches Versprechen, dass sie zurückrufen würde, nicht mal eine Aufforderung, nach dem Piepton, wie Amanda ihn genannt hatte, eine Nachricht zu hinterlassen. Wozu auch? Wer würde hier anrufen, um mit ihr zu reden? Seit Scotts Tod war dieses Gebäude nicht mehr als eine leere Hülle. Zurückgeblieben war nur die kleine Lisey Debusher aus Lisbon Falls, jetzt die Witwe Landon. Die kleine Lisey wohnte in einem Haus, das viel zu groß für sie war, und schrieb Einkaufslisten, keine Romane.
Die Pause zwischen Ansage und Piepton war so lang, dass sie schon glaubte, das Band wäre voll. Selbst wenn nicht, würde der Anrufer bestimmt die Geduld verlieren und einfach auflegen …
Stattdessen hörte sie eine Männerstimme vier Worte sagen. Harmlose Worte, die ihr eigentlich keinen kalten Schauder über den Rücken jagen dürften, aber sie taten es trotzdem.
»Ich rufe wieder an«, sagte die Stimme. Dann war ein Klicken zu hören. Danach herrschte Stille.
8 Das hier ist eine viel nettere Gegenwart, denkt Lisey, aber sie weiß, dass dies weder Gegenwart noch Vergangenheit, sondern nur ein Traum ist. Sie liegt in dem breiten Doppelbett unter dem langsam rotierenden Deckenventilator in ihrem
(unserem unserem unserem unserem)
Schlafzimmer; trotz der hundertdreißig Milligramm Kof fein in den beiden Excedrin (Verfallsdatum OKT 07) aus Scotts schwindendem Medikamentenvorrat im Spiegelschrank im Bad muss sie eingeschlafen sein. Falls sie den geringsten Zweifel daran hat, braucht sie sich nur anzusehen, wo sie sich befindet – auf der Intensivstation im zweiten Stock des Nashville Memorial Hospital – und auf welch einzigartige Weise sie dorthin gelangt ist: ihr Fortbewegungsmittel ist wieder ein großes Tuch mit dem Aufdruck PILLSBURY'S BEST FLOUR . Auch diesmal stellt sie entzückt fest, dass die Ecken ihres fliegenden Teppichs, auf dem sie mit unter dem Busen verschränkten Armen wie eine Königin thront, geknotet sind wie Taschentuchecken. Sie schwebt so dicht unter der Decke, dass sie sich ducken muss, als PILLSBURY'S BEST FLOUR ei nem der sich langsam drehenden Deckenventilatoren (die in ihrem Traum dem in ihrem Schlafzimmer gleichen) zu nahe kommt, um nicht von den Flügeln getroffen und zerhackt zu werden. Diese lackierten hölzernen Ruder machen unabläs sig schup, schup, schup, während sie sich gemächlich und irgendwie feierlich drehen. Unter ihr kommen und gehen Krankenschwestern auf leise quietschenden Sohlen. Einige stecken
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