Love
der Höhepunkt garstigen Essens – obendrauf geben können, aber vorerst war Lisey zu satt, um auch nur daran zu denken. Und es beunruhigte sie, dass diese schlimmen alten Erinnerungen selbst jetzt zurückkehrten, nachdem sie sich den Bauch mit heißem, gehaltvollem Essen vollgeschlagen hatte. Sie glaubte, jetzt eine Vorstellung davon zu haben, was Soldaten im Krieg durchmachten. Dies war ihre einzige Schlacht gewesen, aber
(nein, Lisey)
»Lass das«, flüsterte sie und schob ihren Teller
(nein, Babylove)
heftig von sich weg. Gott, wie sie sich
(du weißt es besser)
nach einer Zigarette sehnte! Und noch dringender wünsch te sie sich, dass all diese alten Erinnerungen ver…
Lisey!
Das war Scotts Stimme, diesmal in der obersten Ebene ihres Bewusstseins und so klar, dass sie über den Küchentisch hin weg laut und ohne die geringste Verlegenheit fragte: »Ja, Schatz?«
Finde die silberne Schaufel, dann wird der ganze Scheiß weggeblasen … wie damals der Fabrikgeruch, wenn der Wind auf Süd gedreht hat. Weißt du noch?
Natürlich wusste Lisey das noch. Ihr Apartment hatte in der Kleinstadt Cleaves Mills östlich von Orono gelegen. In Cleaves hatte es damals keine Papierfabriken mehr gegeben, aber in Oldtown gab es noch viele, und bei Nordwind – vor allem an feuchten, bewölkten Tagen – war der Gestank grässlich. Aber wenn der Wind dann drehte … Gott! Dann konnte man das Meer riechen und fühlte sich wie neugeboren. Eine Zeit lang hatte der Ausspruch Warte, bis der Wind sich dreht zur Ge heimsprache ihrer Ehe gehört, ähnlich wie es umschnallen und SUWAS . Irgendwann war es aus der Mode gekommen, und sie hatte jahrelang nicht mehr daran gedacht. Warte, bis der Wind sich dreht hieß: Halt durch, Baby! Es hieß: Nur nicht aufgeben! Vielleicht war das die naiv optimistische Einstellung gewesen, die nur Jungverheiratete längere Zeit durchhalten konnten. Sie wusste es nicht. Scott hätte viel leicht eine begründete Meinung dazu äußern können; er hatte schon damals sein Tagebuch geführt, damals in ihren
( FRÜHEN JAHREN! )
ersten schwierigen Ehejahren, hatte jeden Abend eine Vier telstunde darin geschrieben, während sie sich Sitcoms ansah oder die Haushaltsausgaben zusammenrechnete. Und manch mal saß sie, statt fernzusehen oder zu rechnen, einfach nur da und beobachtete ihn. Ihr gefiel die Art, wie das Lampenlicht sein Haar beleuchtete und tiefe dreieckige Schatten auf seine Wangen zeichnete, während er sich über sein Notizbuch mit Spiralbindung beugte. Damals waren seine Haare noch län ger und dunkler gewesen – ohne das Grau, mit dem es gegen Ende seines Lebens durchsetzt gewesen war. Ihr gefielen seine Geschichten, aber ebenso gut gefiel ihr, wie seine Haare bei sanftem Lampenschein aussahen. Sie fand, dass seine Haare bei Lampenlicht ihre eigene Geschichte verkörperten; er wuss te es nur nicht. Ihr gefiel auch, wie seine Haut sich unter ihrer Hand anfühlte. Stirn oder Eichel, beides fühlte sich gut an. Sie hätte die eine nicht gegen die andere eintauschen wollen. Was sie zu ihrem Glück brauchte, war das Gesamtpaket.
Lisey! Finde die Schaufel!
Sie räumte den Tisch ab, anschließend verstaute sie die restliche Cheeseburger-Pastete in einem Tupperware-Behälter. Sie war sich eigentlich sicher, dass sie diesen Rest nie mehr essen würde, denn ihr Heißhungeranfall war vorüber, aber sie wollte ihn nicht einfach in den Abfall kippen; wie Good Ma Debusher, die noch immer in Liseys Kopf haushaltete, doch Zeter und Mordio geschrien hätte angesichts solcher Verschwendung! Da war es viel besser, die Tupperdose im Kühlschrank hinter dem Spargel und dem Joghurt zu verstecken, wo sein Inhalt still vor sich hin altern konnte. Und während sie diese einfachen Arbeiten erledigte, fragte sie sich, wie es im Namen von Jesus, Maria und Jojo dem Zimmermann möglich sein sollte, dass der Fund dieser dämlichen Zierschaufel etwas zu ihrem Seelenfrieden beitrug. Vielleicht wegen der angeblichen Zauberkräfte von Silber? Sie erinnerte sich an einen Film in der Spätvorstellung, den sie sich mit Darla und Cantata angesehen hatte: einen angeblichen Gruselfilm über einen Werwolf. Lisey hatte ihn nicht sehr gruselig gefunden, eigentlich fast gar nicht. Sie fand den Werwolf eher traurig als gruselig, außerdem konnte man sehen, wie die Filmleute sein Gesicht verändert hatten, indem sie die Kamera immer wieder angehalten, noch mehr Make-up aufgetragen und sie dann wieder hatten weiterlaufen lassen. Man
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