Love
Lisey seit frühester Kindheit kannte und hasste … vermutlich weil Granny D umgekippt und gestorben war, während sie ihre Hühner gefüttert hatte. Diese Erkenntnis trug nicht dazu bei, den Geruch erträglicher zu machen, so schwach er auch war.
Zwei der Kabuffs enthielten hohe Kartonstapel, die meisten waren Wein- und Schnapskartons, aber keine Grabwerkzeu ge, weder silbern noch sonst wie. In dem ehemaligen Hühner stall stand ein mit Laken abgedecktes Doppelbett: das einzige Überbleibsel ihres kurzen neunmonatigen Deutschland-Ex periments. Dieses Bett hatten sie in Bremen gekauft und für ein Schweinegeld nach Amerika transportieren lassen – dar auf hatte Scott bestanden. Sie hatte das Bremer Bett inzwi schen völlig vergessen.
Wieder etwas, was aus 'nem Hundearsch gefallen ist!, dach te Lisey mit einer Art armseligem Frohlocken, dann sagte sie laut: »Wenn du glaubst, dass ich jemals in einem Bett schlafe, das zwanzig Jahre lang in einem gottverdammten Hühner stall gestanden hat, Scott …«
… dann bist du verrückt!, hatte sie anfügen wollen, aber das konnte sie nicht. Stattdessen brach sie in Gelächter aus. Him mel, der Fluch des Geldes! Sein verdammter Fluch! Wie viel hatte dieses Bett gekostet? Tausend Dollar? Okay, sagen wir tausend. Und wie viel der Transport? Noch mal tausend? Schon möglich. Und jetzt stand es hier – hirun-jetz, wie Scott vielleicht gesagt hätte – im Schatten der Hühnerscheiße. Und wie sie die Sache sah, würde es hier bleiben, bis die Welt in Feuer oder Eis unterging. Die ganze Deutschlandsache war eine derartige Pleite gewesen: kein Buch für Scott, ein Streit mit ihrem Vermieter, der beinahe in eine Prügelei ausgeartet wäre, sogar Scotts Vorlesungen waren nicht angekommen, weil die Studenten keinen Sinn für Humor hatten oder seinen nicht verstanden, und …
Und hinter der Tür gegenüber, an der das Schild VORSICHT HOCHSPANNUNG! hing, schrillte wieder das Telefon. Lisey er starrte, wo sie stand, und bekam erneut eine Gänsehaut. Gleichzeitig empfand sie eine gewisse Unvermeidlichkeit, als wäre sie nur deshalb hierhergekommen – überhaupt nicht wegen des silbernen Spatens, sondern um diesen Anruf ent gegenzunehmen.
Lisey setzte sich in Bewegung, als das Telefon zum zweiten Mal klingelte, und überquerte den düsteren Mittelgang der Scheune. Als das dritte Klingeln begann, erreichte sie die Tür. Sie drückte die altmodische Sperrklinke mit einem Dau men hoch, und die Tür ließ sich leicht öffnen, kreischte nur ein bisschen in ihren ungeölten Angeln, willkommen in der Gruft, kleine Lisey, wir lechzen schon danach, dich kennenzu lernen, he-he-he . Ein Luftzug fuhr um sie herum durch den Türspalt, ließ ihre Bluse in ihrem Kreuz flattern. Sie tastete nach dem Lichtschalter und betätigte ihn, gefasst darauf, dass nichts passierte, doch die Deckenbeleuchtung flammte auf. Natürlich tat sie das. Für das Versorgungsunternehmen Cen tral Maine Power gehörte dies alles zu The Study, RFD #2, Sugar Top Hill Road. Ob unten oder oben, für das CMP war dies ein klarer Fall von alles beim Alten.
Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte zum vierten Mal. Bevor das fünfte Klingeln den Anrufbeantworter akti vieren konnte, riss Lisey den Hörer von der Gabel. »Hallo?«
Kurzes Schweigen. Sie wollte gerade erneut hallo sagen, als die Stimme am anderen Ende ihr zuvorkam. Sie klang per plex, aber Lisey erkannte sie trotzdem. Dieses eine Wort ge
nügte. Man kannte seine Angehörigen.
»Darla?«
»Lisey – bist du's?«
»Klar bin ich's.«
»Wo bist du?«
»In Scotts altem Büro.«
»Nein, bist du nicht. Dort hab ich's vergeblich versucht.«
Darüber brauchte Lisey nur kurz nachzudenken. Scott hat te Musik gern laut gehört – tatsächlich in einer Lautstärke, die normale Menschen für verrückt gehalten hätten –, und das Telefon dort oben stand in dem besonders schallgedämpften Raum, den er im Scherz seine »Gummizelle« genannt hatte. Daher war es kein Wunder, dass sie das Klingeln hier unten nicht gehört hatte. Aber es lohnte sich nicht, ihrer Schwester das alles zu erklären.
»Darla, wo hast du diese Nummer her – und weshalb rufst du an?«
Wieder eine Pause. Dann sagte Darla: »Ich bin bei Amanda. Die Nummer habe ich aus ihrem persönlichen Telefonbuch. Sie hat vier von dir. Diese hier war die letzte.«
Lisey spürte, wie ihr Herz und Magen nach unten sackten. Als Kinder waren Amanda und Darla erbitterte Rivalinnen gewesen. Sie hatten sich oft
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