Lovers (German Edition)
meist in Eile und schon halb auf dem Weg zur Arbeit. Ich erinnere mich allerdings an die Sonntage. Da haben wir am Küchentisch gesessen und gelesen. Es waren die wenigen Momente, die wir regelmäßig gemeinsam verbracht haben. Und dabei hat es immer nach Kaffee gerochen.”
“Vielleicht beruhigt der Kaffeeduft dich deshalb”, meint Audrey. “Er ist vertraut und für dich mit einem Ritual verbunden.”
“Kann sein.”
“Ich denke so viel darüber nach, wie wir auf bestimmte Dinge reagieren, wie wir über anderes denken oder in unserem Alltag agieren. Da geht es oft um Rituale, und vermutlich wesentlich mehr, als vielen Leuten bewusst ist. Aufwachen, frühstücken, die Haare waschen. Die meisten Leute machen alles jeden Tag in derselben Reihenfolge.”
“Ich weiß jedenfalls von mir, dass ich das so mache. Ich bin ein bisschen zwangsgestört, aber das habe ich schon gewusst, bevor meine Therapeutin es mir erzählt hat. Mich überrascht eher, dass du auch so bist.”
“Warum?”
“Weil du auf mich den Eindruck machst, ein … Freigeist zu sein. Tut mir leid, dass ich so ein Klischee bemühe, aber was Besseres fällt mir gerade nicht ein.”
“Hm, ich habe tatsächlich Rituale. Ich bin davon sogar ziemlich besessen. Ich muss zum Beispiel meine Zehennägel immer lackieren. Sie waren immer lackiert, seit ich sechzehn war. Und ich muss mir jeden Tag die Haare waschen. Ich finde es unerträglich, wenn ich das nicht mache.”
“Deine Haare sind wunderschön”, sage ich und schaue sie an. Das Sonnenlicht lässt blaue und goldene Funken auf den fast schwarzen Strähnen ihres langen Pferdeschwanzes glänzen.
Audrey lächelt mich an. Sie zieht mich näher, und ihre Finger streicheln meinen Handrücken. Mein Körper wird gegen die üppige Rundung ihrer Brust gedrückt. Und so einfach hat sich unsere unbefangene Unterhaltung in etwas anderes verwandelt. Ihr Blick aus rauchblauen Augen ist auf meine Augen gerichtet, und sie hebt meine Hand an die Lippen, drückt den Mund auf die Haut. Ihre Zunge spitzt hervor und ist so heiß und feucht.
Ich bin entsetzt, wie gut sich das anfühlt. Wie das Verlangen sofort von meinem Handrücken in meinen Schoß schießt. Meine Brüste schmerzen, ich will berührt werden. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie soll ich denn darauf reagieren? Hat uns jemand beobachtet? Und ist das überhaupt wichtig?
Ich entziehe ihr meine Hand und nippe an meinem Kaffee. Ich stürze ihn zu schnell herunter und muss husten.
Sie klopft mir auf den Rücken. “Alles okay mit dir?”
“Ja, mir geht’s gut. Vielen Dank.”
“Audrey”, ruft Viviane. “Komm, sieh dir diese Erdbeeren an. Ich weiß, die wirst du lieben.”
Noch ein flüchtiges Lächeln, dann ist sie wieder fort und lässt mich stehen. Ich spüre den Puls in meinen Venen hämmern.
Ich will nicht, dass sie das hier mit mir macht. Mit Jack ist es ohnehin schon kompliziert genug. Auch wenn ich so sehr mit Jack zusammen sein möchte, will ich Audrey. Das kapiere ich nicht.
Wir bleiben noch ungefähr eine Stunde auf dem Bauernmarkt und spazieren an den Marktständen vorbei, während Viviane und Patrice sich diebisch über die herrlichen Früchte und das Gemüse freuen und die guten Preise, die sie ausgehandelt haben. Leo haben sie inzwischen mit zwei schweren Segeltuchtaschen beladen, als wir uns auf den Weg zurück zum Auto machen. Auf dem Parkplatz findet Jack uns. Ich habe fast vergessen, dass er auch da war.
Nein, das ist eine Lüge. Aber ich habe es wenigstens versucht.
“Wieso fährst du nicht mit mir zurück, Bettina?”, schlägt er zu meiner Überraschung vor. “Ich fahre nur ungern alleine. Und ich will mit dir über eine Story diskutieren, zu der mir heute früh eine Idee gekommen ist. Ich glaube, beim Brainstormen kannst du mir echt helfen.”
“Warum ausgerechnet ich?”, frage ich.
“Ach, fahr nur mit ihm”, sagt Audrey. “Der Tag ist wirklich zu schön, um allein an der Küste zu fahren. Mach schon, Bettina.”
Sie schiebt mich sanft in seine Richtung. Ihre kleine Hand in meinem Kreuz genügt, dass ich ihre Hitze bis in die Knochen spüre. Ich drehe mich um und sehe sie an, aber ihr Lächeln ist völlig arglos.
Jack packt meine Hand. “Komm”, sagt er. Dann fügt er leiser hinzu: “Ich verspreche auch, nicht zu beißen.”
Da bin ich mir nicht so sicher, aber ich gehe trotzdem mit.
Sein staubiger, schwarzer Truck parkt in der Nähe auf demselben Parkplatz. Stumm hält Jack die Beifahrertür für
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