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Lovesong

Titel: Lovesong Kostenlos Bücher Online Lesen
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Worte.
    »In der Nacht fahren die Züge nicht so oft, wahrscheinlich haben die alle schon eine ganze Weile gewartet«, ruft Mia über das Getöse hinweg. »Jetzt kommt aber einer, schau mal, alles in Ordnung.«
    Als wir in die N steigen, erkennen wir beide, dass Mia sich geirrt hat. Der Wagen ist voller Leute. Voller betrunkener Leute, um genau zu sein.
    Ich spüre, wie mich unzählige Augenpaare mustern. Ich weiß, dass ich keine von den Pillen mehr habe, aber ich brauch jetzt wenigstens eine Zigarette. Und zwar sofort . Ich greife in die Tasche.
    »Du kannst doch in der Bahn nicht rauchen«, protestiert Mia flüsternd.
    »Aber ich muss.«
    »Das ist nicht erlaubt.«
    »Mir doch egal.« Wenn die mich einsperren, bin ich wenigstens sicher, in der Polizeistation.
    Und dann platzt ihr total der Kragen. »Wenn du nicht willst, dass man dich erkennt, dann wäre es doch wohl das Dümmste, was du machen könntest, dir eine Zigarette anzustecken!« Sie zerrt mich in eine Ecke. »Schon gut«, gurrt sie, und ich erwarte fast, dass sie mir den Nacken krault, so wie früher, wenn ich überspannt war. »Wir bleiben einfach kurz hier stehen. Wenn es bis zur Vierunddreißigsten Straße nicht leerer wird hier drin, steigen wir einfach aus.«
    Bei der Vierunddreißigsten steigen tatsächlich ein paar Leute aus, und mir ist gleich viel wohler. Und an der Vierzehnten steigen noch ein paar mehr aus. Aber bei der Haltestelle Canal füllt sich der Wagen plötzlich wieder, diesmal mit einer Gruppe Szenekids. Ich verkrieche mich in die hinterste Ecke des Waggons, in die Nähe des Schaffnerabteils, sodass mein Rücken den anderen Fahrgästen zugekehrt ist.
    Für die meisten Leute ist es schwer nachzuvollziehen, wie wahnsinnig mich große Menschenmengen auf engem Raum mittlerweile machen. Selbst ich hätte vor drei Jahren noch meine Schwierigkeiten gehabt, das zu verstehen. Aber dieses frühere Ich hatte auch noch nicht die Erfahrung gemacht, wie in einem winzigen Plattenladen in Minneapolis ein Typ mich erkannte und meinen Namen rief. Das war fast so, als würde man Popcornmais dabei zusehen, wie er ins heiße Öl fällt: Erst knallt das erste Maiskorn, dann das nächste, gefolgt von einer wahren Explosion … Schließlich hatten sich die ganzen lässigen Leute in dem Plattenladen in einen Mob verwandelt, der mich umzingelte und mich sogar anfasste. Ich kriegte überhaupt keine Luft mehr. Und bewegen konnte ich mich erst recht nicht mehr.
    Das ist echt beschissen, denn eigentlich treffe ich gern Fans, wirklich. Aber wenn man ihnen in einem Haufen begegnet, dann übernimmt der Gruppeninstinkt die Regie, und sie vergessen, dass man auch nur ein Mensch ist: aus Fleisch und Blut, verletzlich und leicht zu ängstigen.
    In der Ecke sind wir auf den ersten Blick in Sicherheit. Doch dann begehe ich den tödlichen Fehler, dass ich ein letztes Mal über die Schulter sehe, nur um sicherzugehen, dass mich niemand anstiert. Und in diesem winzigen Bruchteil einer Sekunde geschieht es. Ich begegne dem Blick von jemandem. Und dann kann ich zusehen, wie die Erkenntnis in diesen Augen aufflackert, ähnlich einem Streichholz. Fast schon glaube ich den Geruch nach Schwefel in der Luft zu spüren. Plötzlich spielt sich alles wie in Zeitlupe ab. Erst höre ich es nur. Unnatürlich leise beginnt es. Bis man ein gedämpftes Murmeln vernimmt, schon etwas lauter, während die Neuigkeit sich ausbreitet. Ich höre meinen Namen, der sich in dem lärmenden Zugabteil ausbreitet, eine Art Bühnenflüstern. Ich bemerke, wie Leute sich gegenseitig mit dem Ellbogen anstoßen. Da wird nach Taschen gegriffen, werden Handys hervorgeholt, Kräfte gesammelt, Beine bewegt. Das alles dauert nicht viel länger als ein paar Sekunden, aber für mich sind sie wahnsinnig quälend. Irgendwie erinnert das an den Moment unmittelbar bevor eine vorschnellende Faust ihr Ziel trifft. Ein bärtiger Typ ist kurz davor, von seinem Platz aufzuspringen und den Mund aufzumachen, um meinen Namen zu rufen. Ich weiß, dass er mir nichts Böses will, doch sobald er ihn durch das Abteil gebrüllt hat, wird sich der ganze Waggon auf mich stürzen. Nur noch dreißig Sekunden, dann bricht hier die Hölle los.
    Ich packe Mia am Arm und zerre sie weg.
    »Aua!«
    Schon habe ich die Tür zum nächsten Abteil geöffnet, und wir schlüpfen rüber in den anderen Waggon.
    »Was hast du denn vor?«, fragt sie verwirrt und stolpert hinter mir her.
    Ich achte nicht auf sie. Ich zerre sie weiter von Waggon zu Waggon,

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