Lovesong
erwähnst?«
»Nein«, muss ich zugeben. »Wohl nicht.«
»Und wie du sehen kannst, versuche ich auch gar nicht, sie zu vergessen.« Mia zeigt auf die vielen Fotos.
»Die hab ich mir schon angeschaut. Ganz schön eindrucksvoll, diese Galerie, die du da hast. Von jedem gibt es Fotos.«
»Danke. Sie leisten mir Gesellschaft.«
Ich sehe mir die Bilder nochmal an und stelle mir vor, dass eines Tages Fotos von Mias Kindern noch mehr von diesen Rahmen füllen werden. Sie wird eine ganz neue, eigene Familie haben, eine Generation, die weiterexistieren wird, ohne dass ich Teil von ihrem Leben sein darf.
»Ich weiß, dass das nur Fotos sind«, fährt sie fort, »doch an manchen Tagen helfen sie mir morgens wirklich, aus dem Bett zu kommen. Na ja, sie und der Kaffee.«
Ach ja, der Kaffee. Ich gehe in die Küche, wo ich die Schränke öffne, in denen ich die Tassen vermute. Ich bin ein wenig erstaunt, dass sie immer noch die Keramiktassen aus den Fünfzigern und Sechzigern hat, die ich schon so oft benutzt habe. Ich bin verblüfft, dass sie sie von Wohnheim zu Wohnheim mitgeschleift hat, sie von Wohnung zu Wohnung mit hat umziehen lassen. Ich suche nach meiner Lieblingstasse von damals, die mit den tanzenden Kaffeekannen, und als ich sie finde, bin ich überglücklich. Irgendwie ist es fast so, als hinge mein Foto doch auch hier an der Wand. Ein kleiner Teil von mir ist immer noch da, auch wenn der größere Part nicht mehr hier sein kann.
Ich schenke mir eine Tasse Kaffee ein, dann eine für Mia. Für sie gebe ich einen Schuss Kaffeesahne hinein, so wie sie ihn gern trinkt.
»Ich mag die Fotos«, sage ich. »Viel zu gucken.«
Mia nickt und pustet in ihre Tasse.
»Und ich vermisse sie genau wie du«, füge ich noch hinzu. »Jeden Tag.«
Nun sieht sie doch überrascht aus. Nicht weil ich sie vermisse, aber ich schätze, weil ich es endlich offen zugebe. Sie nickt feierlich. »Ich weiß«, sagt sie schließlich.
Sie geht durch das Zimmer, wobei sie ihre Finger leicht an den Bilderrahmen entlangwandern lässt. »Ich hab bald keinen Platz mehr«, meint sie. »Einige von Kims neueren Fotos musste ich schon im Bad aufhängen. Hast du in letzter Zeit mal mit ihr geredet?«
Sie muss doch Bescheid wissen, was ich Kim angetan habe. »Nein.«
»Echt nicht? Dann weißt du also nichts über le scandale ?«
Ich schüttle den Kopf.
»Sie ist letztes Jahr vom College abgegangen. Als der Krieg in Afghanistan begann, hat Kim beschlossen, alles hinzuwerfen und Fotografin zu werden, und da man am besten in der Praxis lernt, hat sie ihre Kameras genommen und ist abgedüst. Dann hat sie angefangen, ihre Aufnahmen an Associated Press und an die New York Times zu verkaufen. Sie ist in einer von diesen Burkas rumgerannt und hat ihre Fotoausrüstung darunter versteckt, und wenn sie ein Foto schießen wollte, hat sie den Schleier einfach schnell hochgehoben.«
»Ich wette, das hat Mrs Schein gut gefallen.« Kims Mom war bekanntermaßen eine richtige Glucke. Das Letzte, was ich von ihr gehört habe, war, dass sie total ausgerastet ist, weil Kim eine Schule am anderen Ende des Landes besuchen wollte, aber Kim meinte dazu nur, gerade die große Entfernung sei ja der Grund für ihren Entschluss gewesen.
Mia lacht. »Erst hat Kim ihrer Familie erzählt, sie wolle nur ein Semester Auszeit nehmen, aber auf einmal hat sie totalen Erfolg, weshalb sie ganz offiziell abgegangen ist, woraufhin Mrs Schein ebenso offiziell einen Nervenzusammenbruch erlitt. Und dann kommt noch erschwerend hinzu, dass Kim, ein nettes jüdisches Mädchen, sich ausgerechnet in einem ziemlich muslimischen Land rumtreiben muss.« Mia pustet noch einmal in ihren Kaffee und nimmt einen Schluck. »Auf der anderen Seite kriegt Kim ihre Arbeiten in der New York Times unter, und sie hat gerade erst eine Dokumentation für National Geographic an Land gezogen, sodass Mrs Schein auch wieder einiges hat, womit sie angeben kann.«
»Schwer für eine Mutter, da zu widerstehen«, sage ich.
»Sie ist ein großer Fan von Shooting Star, wusstest du das?«
»Wer, Mrs Schein? Ich dachte immer, die würde eher auf Hip-Hop stehen.«
Mia grinst. »Nein. Sie fährt voll auf Death Metal ab. Hardcore. Ich meine natürlich Kim. Sie hat euch spielen sehen, in Bangkok. Sie meinte, ihr habt einfach weitergespielt, als es anfing zu regnen.«
»Sie war bei der Show damals? Ich wünschte, sie wäre zu uns in den Backstage-Bereich gekommen und hätte kurz Hallo gesagt«, erkläre ich, obwohl mir
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