Lovesong
obwohl Kat mich auf so vielen Familienfotos mit draufhaben wollte. Sie hatte sogar ein Bild von Mia, Teddy und mir in Halloween-Kostümen über dem Kamin bei ihnen daheim aufgehängt, ein echter Ehrenplatz im Hause der Familie Hall. Aber hier war nichts zu sehen. Keiner von diesen doofen Schnappschüssen, die Mia und ich immer gemacht haben, die, auf denen wir uns küssen oder Grimassen ziehen, während einer von uns beiden die Kamera hochhält. Ich habe diese Fotos immer geliebt. Auf denen war ständig die Hälfte eines Kopfes abgeschnitten, oder ein Finger verdeckte alles, doch irgendwie schienen sie stets ein kleines Stück Wirklichkeit festzuhalten.
Ich bin nicht verletzt oder so. Wäre es noch früher am Abend, wäre ich wahrscheinlich beleidigt. Aber jetzt habe ich verstanden. Welchen Platz ich auch immer in Mias Leben, in ihrem Herzen eingenommen haben mag, an jenem Tag im Krankenhaus vor dreieinhalb Jahren hat sich das alles unwiderruflich verändert. Abschluss. Ich hasse dieses Wort. Die Seelenklempner stehen drauf. Bryn steht voll drauf. Sie meint immer, dass ich die Sache mit Mia nie zum Abschluss gebracht habe. »Mehr als fünf Millionen Menschen haben sich meinen Abschluss gekauft und angehört«, lautet meine Standardantwort.
Jetzt stehe ich hier in der Stille dieses Hauses, während draußen im Garten die Vögel zwitschern, und habe das Gefühl, dass ich das Konzept des Abschlusses allmählich zu verstehen beginne. Das ist kein dramatischer Vorher-Nachher-Akt. Es handelt sich eher um diese Art von melancholischem Gefühl, das einem am Ende eines wahnsinnig tollen Urlaubes überkommt, wenn etwas ganz Besonderes zu Ende geht und man selbst darüber traurig ist, obwohl man es auch wieder nicht allzu sehr bedauern kann, weil es ja immerhin total super war, solange es andauerte … Und, hey, es wird ja noch weitere Urlaube geben, man wird andere tolle Dinge erleben. Nur dass ich sie nicht mit Mia teilen werde – oder mit Bryn.
Ich werfe einen kurzen Blick auf die Uhr. Ich muss nach Manhattan zurück, meine Sachen packen, die wichtigsten Mails beantworten, die sich mit Sicherheit inzwischen angesammelt haben, und dann nichts wie ab zum Flughafen. Ich muss mir ein Taxi rufen, das mich von hier wegbringt, aber vorher muss ich Mia aufwecken und mich anständig von ihr verabschieden.
Ich beschließe, erst mal einen Kaffee zu kochen. Der Geruch allein hat sie früher aufgeweckt. An den Tagen, an denen ich bei ihr übernachtete, wachte ich manchmal früh auf und hing dann mit Teddy ab. Wenn ich sie dann lange genug hatte schlafen lassen, nahm ich die Espressokanne immer direkt mit in ihr Zimmer und ließ den Kaffeeduft sich ausbreiten, bis Mia mit ganz kleinen, sanften Augen den Kopf vom Kissen hob.
Ich gehe in die Küche, wo ich mich instinktiv zurechtfinde, als wäre es meine eigene, und als hätte ich hier schon unzählige Male Kaffee gekocht. Die Edelstahl-Espressokanne steht in dem Küchenschrank oberhalb des Spülbeckens. Der Kaffee selbst findet sich in einem Glas oben auf dem Kühlschrank. Ich löffle das aromatische dunkle Pulver in die entsprechende Kammer der Espressokanne, dann fülle ich Wasser ein und stelle das Ganze auf den Herd. Nach einigem Zischen liegt wundervoller Kaffeeduft in der Luft. Ich stelle mir vor, wie die Duftwolke wie in einem Zeichentrickfilm zu Mia rüberzieht und sie anstupst, um sie aufzuwecken.
Und siehe da, noch ehe der Kaffee in der Kanne durchgelaufen ist, reckt sie sich auch schon auf der Couch und schnappt nach Luft, wie sie das beim Aufwachen immer tut. Als sie mich in ihrer Küche sieht, wirkt sie für einen kurzen Augenblick verwirrt. Ich könnte nicht sagen, ob es daran liegt, dass ich dort eifrig hantiere wie eine Hausfrau, oder ob es allein meiner Anwesenheit zuzuschreiben ist. Dann fällt mir wieder ein, was sie über ihr tägliches Erwachen und die Erinnerung an ihren Verlust erzählt hat. »Denkst du jetzt wieder daran?«, frage ich sie tatsächlich laut. Ja, ich spreche es laut aus. Weil ich es wirklich wissen will und weil sie mich gebeten hat, mich danach zu erkundigen.
»Nein«, meint sie. »Nicht heute Morgen.« Sie gähnt und streckt sich ein weiteres Mal. »Ich dachte schon, ich hätte das mit gestern Nacht nur geträumt, bis ich den Kaffee gerochen hab.«
»Tut mir leid«, murmele ich.
Während sie die Decke von sich strampelt, lächelt sie. »Denkst du wirklich, ich könnte meine Familie leichter vergessen, wenn du sie nicht
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