Luc - Fesseln der Vergangenheit

›Ma’m‹ und er zaubert plötzlich Manieren hervor, von denen ich nicht einmal wusste, dass er sie kennt. Meine Brüder und ich ziehen ihn gnadenlos auf und du bist herzlich eingeladen mitzumachen.«
    Ihre Zustimmung kam ebenso spontan, wie er es erhofft hatte. »Es wird mir ein Vergnügen sein.«
    Luc hätte nie damit gerechnet, dass er seine taktischen Kenntnisse als SEAL bei einer Beziehung einsetzen musste, aber nachdem er im ersten Schritt seine Familie ins Spiel gebracht hatte, war es Zeit für einen weiteren Punkt, ehe sie ihre Fahrt fortsetzen mussten. Hamid und Scott blickten bereits in seine Richtung und warteten nur auf sein Zeichen. Aber die paar Minuten gönnte er sich noch. »Wir hatten eigentlich über die Wüste geredet. Ich mag diese Landschaft. Ignoranten reden von kahlem Braun, aber wenn du genau hinsiehst, bemerkst du die unterschiedlichen Schattierungen und wie perfekt sich alles zu einem Gesamtbild zusammenfügt. Wenn ich wüsste, dass hinter den Hügeln dort hinten das Meer liegt, wäre es perfekt. Aber ich glaube, auf Dauer wäre Perfektion langweilig und uninteressant. Zu Hause habe ich das Meer und ein Stück Strand, aber es fehlt die Weite rechts und links. Ich denke, darauf kommt es im Leben an: die richtigen Prioritäten setzen und die Kompromisse akzeptieren, die man eingehen muss, um das zu erreichen, was wirklich zählt.« Er zog Jasmin an sich, bis ihr Kopf an seiner Schulter lag. »Ich bin bereit, über die Anzahl unserer Kinder, meinen Job, unseren Wohnort, eigentlich über alles mit dir zu verhandeln. Aber nicht darüber, dass wir definitiv eine gemeinsame Zukunft haben, Jamila. Überleg es dir, wenn du dazu nicht bereit bist, dann sag es jetzt.«
    »Oder schweige für immer?« Ihr Lachen klang zitterig. »Du verlangst viel, Luc.«
    »Eigentlich nicht. Ich bin zu unendlich vielen Kompromissen bereit. Und will eigentlich nur eins: dich. Über den Rest können wir reden.« Er zwang sich zu einem Grinsen. »Aber nicht jetzt. Es geht weiter. Und du bist dran mit Fahren. Scott und ich hatten heute schon unseren Spaß.«
    Nur aus dem Augenwinkel verfolgte Luc, dass er sie erneut überrascht hatte. Sehr schön. Sie sollte zwar wissen, dass er in gewissen Dingen nicht mit sich reden ließ, aber sie ansonsten als absolut gleichberechtigt betrachtete. Als er um den Wagen herumging, um es sich auf dem Rücksitz so bequem wie möglich zu machen, hielt Scott ihn auf.
    »Ich dachte schon, du wolltest hier übernachten, Boss.«
    »Sehr witzig. Noch irgendwas, das ich wissen müsste?«
    »Nein. Ich überlege nur, wie verrückt das Leben ist.«
    »Du meinst unsere ungewöhnliche Allianz?«
    »›Ungewöhnlich‹ trifft es nicht einmal ansatzweise. Ich meine eher dich und Jasmin. Jahrelang flogen dir die Frauenherzen zu, aber du hast dankend abgelehnt. Jetzt ist es dir ernst und so wie sie dich ansieht, ist es bei ihr dasselbe. Und trotzdem hast du die reinste Sisyphusarbeit vor dir, sie davon abzuhalten, bei erster Gelegenheit abzuhauen, sobald wir Melton aus dem Verkehr gezogen haben.«
    »Ist das so offensichtlich?«
    »Ja.«
    Scotts schonungslose Offenheit war nicht geeignet, seine eigenen Befürchtungen zu zerstreuen. Es blieb dabei: Er musste dafür sorgen, dass es für Jasmin keinen Grund gab davonzulaufen, weil sie das Gefühl hatte, ihn beschützen zu müssen. Eine absurde Vorstellung. Sie wog geschätzte zwanzig Kilo weniger als er, war einige Zentimeter kleiner und verfügte nicht einmal ansatzweise über seine Ausbildung. Kopfschüttelnd streckte er sich auf dem Rücksitz aus und schloss die Augen. Bisher hatten ihn die Auswüchse weiblicher Logik höchstens amüsiert. Jetzt verstand er, warum sein Vater bei etlichen Gelegenheiten mit Nachdruck die Tür seines Arbeitszimmers geschlossen und den Streit mit seiner Mutter erst nach einigen Gläsern Single Malt fortgesetzt hatte. Seine Eltern waren beide Dickköpfe, hatten jeder auf ihre Art und Weise unglaublichen Erfolg gehabt und wurden von etlichen Leuten bewundert oder sogar gefürchtet. Als Kinder hatten Luc und seine Brüder gewusst, dass ihre Eltern sich aufrichtig liebten, aber trotzdem waren so manches Mal Gewitter durchs Haus getobt, gegen die Unwetter während der Regenzeit harmlose Schauer gewesen waren.
    Als SEAL hatte er es gelernt, unter den widrigsten Bedingungen und zu den ungewöhnlichsten Zeiten zu schlafen. Die Schaukelei über den Pfad wäre kein Problem gewesen, aber das leise Gespräch zwischen Scott und Jasmin