Luc - Fesseln der Vergangenheit
zwei oder drei Schüsse in die Weste abbekommen hat. Aus nächster Nähe. Zum Glück kleines Kaliber, vermutlich auch mit Schalldämpfer, sonst hätten wir es gehört und die Weste wäre stärker beschädigt. Er lebt, muss aber sofort ärztlich versorgt werden.«
Luc war kein Experte für Flugangelegenheiten, aber er wusste, dass die Deutschen Probleme mit Nachtflügen hatten.
»Sam auch. Ich kann nur eine Verletzung am Hinterkopf feststellen, aber die würde ihn nicht so lange ausschalten, wenn da nicht noch mehr wäre. Kannst du sie nach Mazar el-Sharif fliegen?«
»Theoretisch ja. Wir warten, was unsere Mediziner sagen. Es bringt nichts, jetzt das Lager in Aufruhr zu versetzen. Bis die uns unsere Geschichte glauben, ist es Morgen, und bessere Sanitäter als unsere gibt es hier auch nicht.« Andi blickte sich um. »Wo ist eigentlich dein afghanischer Freund?«
Luc benötigte einige Sekunden, ehe er begriff, dass Hamid nicht mehr bei ihnen war. Noch nie hatte er derartige Probleme gehabt, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Neben der Angst um Jasmin beherrschte ihn die Vorstellung, dass er Melton in die Falle gegangen war. Das konnte und durfte nicht sein.
»Reiß dich zusammen, Luc.«
Die Ermahnung und der feste, fast schmerzhafte Griff an seiner Schulter halfen. »Ich versuche, das zu sortieren. Ich begreife es nicht.«
»Eins nach dem anderen. Du suchst Hamid, ich versuche, Sams Blutung zu stoppen.«
Das wäre eindeutig Lucs Aufgabe gewesen, statt Zeit mit Grübeln zu verschwenden. Wenn er so weitermachte, würde der Deutsche ihn aus dem Verkehr ziehen.
»Sorry. Ich … «
Andi unterbrach ihn. »Ist schon klar. Hau endlich ab und sorg dafür, dass dein Talibanfreund nicht das Lager in Schutt und Asche legt.«
Der Jeep stand noch dort, wo Luc ihn abgestellt hatte. Wo mochte Hamid stecken? Luc überlegte, was er an seiner Stelle tun würde. Vermutlich würde er herauszufinden versuchen, ob und wer innerhalb der letzten Stunde das Lager verlassen hatte. Luc sprintete durch die Dunkelheit und die körperliche Anstrengung half ihm, den Kopf wieder klarzubekommen. Es half niemandem und Jasmin am wenigsten, wenn er durchdrehte – sei es vor Angst oder vor Selbstvorwürfen.
36
Die Wachposten an der Zufahrt des Lagers wirkten entspannt, beinahe nachlässig. Luc erntete einige irritierte Blicke, dass er zu Fuß unterwegs war, aber niemand hielt ihn für eine Bedrohung. Drei Männer standen zusammen, von denen zwei rauchten und einer beiläufige Fragen stellte. Hamid.
Als Luc ihn erreicht hatte, verabschiedete sich Hamid mit einigen launigen Worten von den Afghanen. Wesentlich langsamer gingen sie zurück. Hamid wartete, bis sie außer Hörweite der Soldaten waren und blieb stehen. »Vor einer halben Stunde haben zwei Jeeps das Lager verlassen. Auf einen der Beifahrer passt die Beschreibung von Melton.«
Luc legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Nachthimmel. Drohnen schieden aus, vielleicht konnten sie den Weg der Fahrzeuge über Satellit verfolgen lassen. Einen Versuch war es wert.
»Wie konnte uns das Ding so aus dem Ruder laufen?«
»Fühl dich nicht dafür verantwortlich. Wir haben die Entscheidungen zu dritt getroffen und keiner von uns hat damit gerechnet. Du musst jetzt weitermachen, Luc.«
Wenn das nicht verrückt war. Luc sah in Hamid zwar schon lange nicht mehr nur den Taliban, aber musste ihn ausgerechnet ein Afghane, der eigentlich auf der anderen Seite stand, an seinen Job erinnern?
»Ich habe nicht gesagt, dass ich aufhöre. Es ist nur … ach vergiss es.«
»Nein, es ist in Ordnung, dass du sauer bist und Angst um Jasmin hast, du darfst dich davon nur nicht beherrschen lassen. Sie braucht dich, und zwar mit klarem Kopf. Es ist verdammt bitter, wenn man glaubt, dass man eine Sache unter Kontrolle hat, und dann unsanft auf dem Boden landet.«
Exakt so musste es Melton in San Diego ergangen sein, als er sich Jay geschnappt hatte und plötzlich von Luc und seinen Männern überwältigt worden war. Aber verletzter Stolz war das Letzte, das sich Luc erlauben konnte.
»Ich gebe ja zu, dass es nicht leicht ist. Aber darum ging es bei meiner Frage nicht. Wie hat der verdammte Mistkerl von unserer Anwesenheit erfahren?«
»Das werden wir meinen Bruder und Meltons Männer fragen und sie werden antworten. Jedenfalls wenn du sie mir überlässt.«
»Das kannst du haben, solange du dich auf sie beschränkst und Kalil leben lässt.«
»Auch er wird einige Antworten liefern müssen,
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