Luc - Fesseln der Vergangenheit
ihnen vorbeizukommen und das Gebäude zu verlassen.
Prüfend fuhr sie mit der Hand über die grobe Steinmauer. Von dem Putz war nichts übrig geblieben und an einigen Stellen saßen die Steine locker. Als sie den Druck verstärkte, gab das Mauerwerk zwar leicht nach, aber bei weitem nicht genug, um ein Loch hineinzustemmen. Ohne Werkzeug war das keine Alternative.
Mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt versuchte sie weiter, Gesprächsfetzen aufzuschnappen. Wiederholt blickten die Männer in ihre Richtung und obwohl die Campingleuchten nur wenig Licht spendeten, gefielen ihr die Mienen nicht.
Es waren Amerikaner, die auf ihre eigenen Leute geschossen hatten. Das war unglaublich. Die Kälte, mit der Melton seine Männer davon abgehalten hatte, die Soldaten zu töten, weil es Luc aufhalten würde, die Verwundeten zu versorgen, jagte ihr immer noch einen Schauer über den Rücken. Der Kerl war verrückt, aber leider auch hochintelligent. Jahrelang hatte sie vor ihm und seinem Einfluss resigniert und sich versteckt, aber jetzt, wo es auf eine offene Konfrontation hinauslief, erwachte ihr Kampfgeist. Auch wenn sie am Ende verlor, würde sie nicht widerstandslos aufgeben. Das war sie sich schuldig, und auch Luc und Hamid und den anderen.
Bewegung entstand bei den Männern. Einer rollte sich in seinen Schlafsack ein, zwei postierten sich vor dem Eingang. Ein leise ausgetragener Disput entspann sich zwischen Melton und einem Blonden, dann kam ihr ehemaliger Vorgesetzter auf sie zugestapft. Wie konnte ein so harmlos und unscheinbar wirkender Mann hinter solchen Machenschaften stecken? Es war ihr ein Vergnügen, aufzustehen und ihm damit nicht nur auf Augenhöhe zu begegnen, sondern ihn sogar um einige Zentimeter zu überragen. Leider reichte es nicht, um auf ihn hinabzusehen.
Ruhig blickte sie ihm entgegen. Sie würde ihm nicht die Genugtuung geben, ihn mit Fragen oder Vorwürfen zu überfallen.
»Wussten Sie von dem Versuch, mich mit Ihren Videoaufzeichnungen zu erpressen?«
Den Zusammenhang begriff sie sofort. Kalil. Dieser Idiot. »Nein, aber da die Dateien existieren und veröffentlicht werden, wenn ich das Versenden nicht regelmäßig verhindere, wird die eh bald jeder kennen.«
»Ein netter Versuch. Aber bei dem Videomaterial, das ich den Leuten präsentiere, wird der misslungene Angriff nicht mehr als eine kleine Randnotiz sein. Außerdem besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Sie bluffen.«
Schlagartig wurde Jasmin nicht nur klar, was ihr drohte, sondern auch ein anderer Punkt. »Sie steckten hinter dem Anschlag auf Luc. Von Ihnen wussten Warzais Leute, wann das Team zum Flughafen unterwegs war. Logisch, von einem nahezu unbewaffneten SEAL -Team wäre eigentlich keine Gegenwehr zu erwarten gewesen, dazu noch ein paar Gramm Sprengstoff und die Sache schien sicher. Leider haben Sie nicht an alles gedacht und den Kampfgeist der SEAL s unterschätzt.«
»Und wenn schon. Im zweiten Anlauf wird es funktionieren und sogar noch wesentlich besser als ursprünglich geplant. Sie sind einfach nicht flexibel genug, sich auf neue Situationen einzustellen. Ich schon.«
»Wie bringen Sie es nur fertig, amerikanische Soldaten für Ihre Ziele zu opfern?«
Unverständnis zeigte sich auf Meltons Miene. »Wieso? Ihr Luc und seine Männer haben geschworen, ihrem Land zu dienen, und nichts anderes tun sie. Es ist in jeder Armee so, dass einige wenige über das Schicksal vieler entscheiden, und ich gehöre zu denen, die bestimmen, wo es langgeht.«
»Für mich klingt das nach Hochverrat. Sie handeln gegen das Interesse der Regierung, die Sie bezahlt. Sie haben geschworen, Ihr Land zu schützen, stattdessen tun Sie das Gegenteil.«
Melton hob spöttisch einen Mundwinkel. Das schiefe Grinsen in Verbindung mit einer durchschimmernden Selbstgefälligkeit hatte etwas, das Jasmins Befürchtungen weiter anwachsen ließ.
»Wie ich es mir dachte. Sie sind erschreckend naiv. Eine wahre Idealistin. Glauben Sie ernsthaft, Sie wissen besser als ich, was im Interesse unserer Regierung ist? Diese ganze Idee mit der Selbstverwaltung und dem partiellen Rückzug aus diesem Land macht sich in der Öffentlichkeit gut, aber in Wirklichkeit wissen die Männer, auf die es ankommt, dass wir es uns nicht leisten können, unseren Einfluss hier zu verlieren.«
Bisher hatte Jasmin sich keine Gedanken um Meltons Hintermänner gemacht, sondern gedacht, dass er weit genug oben in der Hierarchie stand, um sein eigenes Ding durchzuziehen. Die
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