Luc - Fesseln der Vergangenheit
bereits kennengelernt. Glaube mir eins, Luc, wir sind über deine Anwesenheit ebenso wenig erfreut wie du.«
»Kein Problem. Ich bin jederzeit bereit zu gehen.«
Jasmin schnappte nach Luft und wollte etwas sagen, aber Hamid hielt sie zurück. »So einfach ist es nicht, zumal du zur Zeit rein körperlich nicht in der Lage dazu wärst.«
Auch wenn es der Wahrheit entsprach, gefielen Luc Hamids Worte nicht, aber er war zu ehrlich, um das Offensichtliche zu leugnen, und schwieg.
»Nach unseren Gebräuchen gehörst du Warzai. Er hat dich bei uns für einige Tage sozusagen geparkt. Vermutlich war er sicher, dass du die nächste Nacht nicht mehr überlebst, aber er hat sich geirrt. Seine Abwesenheit konnten wir auf vier Tage verlängern, die du bei uns verbringen wirst. Wie dein Aufenthalt bei uns aussehen wird, hängt von dir ab.«
Schweigend wartete Luc, dass Hamid ihm die kryptischen Worte erklärte.
»Ich kann nichts dagegen tun, wie Warzai dich behandelt, aber hier bestimme ich. Gib mir dein Wort, dass du keinen Fluchtversuch unternehmen wirst, dass du weder Jasmin noch einen meiner Leute angreifen und keinem Fahrzeug und keiner Waffe zu nahe kommen wirst. Dann behandeln wir dich weitestgehend wie einen Gast und nicht wie einen Gefangenen, und du kannst dich mit gewissen Einschränkungen frei bewegen.«
Von dem Angebot überrascht wusste Luc zunächst nicht, was er sagen sollte. Beide Männer sahen ihn forschend an und sämtliche Instinkte warnten ihn, dem Angebot leichtfertig zuzustimmen. Auch wenn Hamid es kaum wissen konnte, würde er ein gegebenes Wort niemals brechen. »Wenn ich das richtig verstehe, erwartest du, dass ich als Gegenleistung für eine faire Behandlung ruhig und geduldig abwarte, bis Warzai zurückkehrt. Was dann geschieht, brauchen wir nicht weiter zu diskutieren, das ist mir schon klar. Damit kommen wir nicht ins Geschäft.«
Etwas glomm in Hamids Miene auf, das Luc nicht benennen konnte. Ehe er es richtig erkannt hatte, war die Gefühlsregung einer neutralen Miene gewichen. »Wie wäre es damit: Wir beschränken die Abmachung auf drei Tage. Danach wird Jasmin uns verlassen und du bist nicht länger an dein Wort gebunden.«
Das bedeutete, ihm blieb danach noch ungefähr ein Tag, um vor Warzais Ankunft zu entkommen, und er würde vorher ausreichend Gelegenheit haben, zu Kräften zu kommen und die Gegend zu erkunden. Obwohl er nicht daran glaubte, dass Hamid sein Angebot tatsächlich ernst meinte, nickte Luc langsam. »Darauf könnten wir uns einigen.«
»Ein dummer Mann hätte, ohne nachzudenken, zugestimmt und nur an seinen Vorteil gedacht. Ein weiser Mann überlegt sich die Konsequenzen, ehe er sein Wort gibt. Dem dummen Mann hätte ich nicht getraut. Aber achte auf dein Verhalten und deine Schritte. Und beim ersten Anzeichen auf einen Wortbruch findest du dich an Händen und Füßen gefesselt in diesem Haus wieder.« Hamid trat dichter an ihn heran und hielt ihm die ausgestreckte Hand hin.
Ohne zu zögern, schlug Luc ein. »Drei Tage«, bekräftigte er.
Wieder lachte Hamid und wirkte dabei unerwartet sympathisch. »Natürlich. Leider ist gerade kein Anwalt in der Nähe, um unsere Abmachung schriftlich zu fixieren.«
Die gesamte Situation war völlig absurd, dennoch winkte Luc grinsend ab.
»Nachdem das geklärt wäre und ehe ich dich unserer Ärztin oder eher ihren Schimpftiraden überlasse, nur noch eine Sache.«
Luc spannte unvermittelt jeden Muskel an. Er war sicher, dass die Dinge im nächsten Moment wieder zurechtgerückt wurden und das scheinbare Angebot nichts als ein Trick war, um ihn in Sicherheit zu wiegen.
»Gibt es irgendwas, das wir tun können, um dir deinen unfreiwilligen Aufenthalt zu erleichtern?«
Das kam dermaßen unerwartet, dass er Hamid nur stumm anstarrte. Dann hatte er sich wieder im Griff und ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen. »Ich war nicht alleine im Wagen, ein Freund saß auf dem Beifahrersitz. Ist irgendwas über ihn bekannt?«
Wieder musterte Hamid ihn sekundenlang durchdringend, ehe er den Kopf in Richtung seines Bruders neigte. »Kalil?«
»Warzai erzählt, dass er dich in einem harten Kampf überwältigt und dabei Dutzende deiner schwer bewaffneten Männer getötet hat. Über den Wahrheitsgehalt brauchen wir nicht zu diskutieren. Wahr ist vermutlich, dass du auf eine IED gefahren bist, oder?«
Die Verwendung des Nato-Begriffes »improvised explosive device« – unkonventionelle Sprengvorrichtung – durch einen Taliban
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