Luc - Fesseln der Vergangenheit
zurück auf die Matratze. »Noch nicht, dein Kreislauf ist völlig hinüber. Du musst es langsam angehen lassen, am besten heute noch gar nicht aufstehen. Und du musst viel trinken, du hast noch reichlich Nachholbedarf.«
Eine bissige Antwort, dass er kaum freiwillig auf ausreichend Flüssigkeit verzichtet hatte, lag Luc auf der Zunge, aber er schluckte seine zynischen Worte hinunter. Wenn er sie gegen sich aufbrachte, erreichte er nichts, und sie war es nicht gewesen, die ihm das lebensnotwendige Wasser vorenthalten hatte. »Danke für deine Hilfe.« Er deutete auf die Matratze. »Und für das.«
Deutliche Überraschung spiegelte sich in ihrer Miene wieder. »Es war nicht viel.«
»Es hat zum Überleben gereicht.«
Mit einem deutlichen Anflug von Wehmut nickte sie. »Es tut mir aufrichtig leid, dass ich nicht mehr tun kann.«
›Kannst du nicht oder willst du nicht?‹, hätte er am liebsten nachgehakt, aber die Verletzlichkeit, die sich kurz in ihrer Miene gezeigt hatte, ließ ihn nicht unberührt und er wollte wieder ihr Lächeln oder freches Grinsen sehen. »Ich habe nichts verlangt.«
Die grünen Augen waren wie Laserstrahlen auf ihn gerichtet und schließlich nickte sie langsam. »Du meinst das tatsächlich ernst.«
Er verzichtete auf eine Bestätigung und verfolgte stumm, wie sie in einem Rucksack wühlte, zwei schmale Pakete hervorholte und auf die Matratze legte. »Powerriegel, genug Kalorien für den Tagesverbrauch eines normal arbeitenden Mannes. Schmeckt zwar wie trockenes Gras, wird dir aber helfen, wieder zu Kräften zu kommen. Würg das mit dem Rest Wasser runter, Luc. Ich kümmere mich um frisches Wasser und ein besseres Frühstück.«
Ehe er sich erkundigen konnte, woher sie seinen Namen kannte, eilte sie zur Tür und knallte sie hinter sich zu. Es dauerte endlose Augenblicke, bis ein Geräusch darauf hindeutete, dass auf der anderen Seite ein Riegel umgelegt worden war. Ob sie Probleme mit der Vorstellung gehabt hatte, ihn einzusperren? Vermutlich eher mit dem Gewicht des Balkens. Er verdrängte den Gedanken an die seltsame Ärztin und sah sich um.
Soweit er erkennen konnte, war die Tür aus massivem Holz und schied als Fluchtmöglichkeit aus. Durch den Spalt über der Tür passte nicht einmal ein Kleinkind, aber das Fenster direkt über den beiden Matratzen war groß genug, um problemlos hindurchzuklettern. Wie in den abgelegenen Dörfern üblich gab es keine Fensterscheiben und weder Fensterläden noch Gitter versperrten den Weg in die Freiheit, nur eine dünne Decke hing zusammengerollt neben der Öffnung und konnte bei Bedarf als Sichtschutz ausgebreitet werden. Solange er jedoch kaum auf eigenen Beinen stehen konnte, half ihm das nicht weiter.
Falls seine Gegner vorgehabt hatten, ihn zu verwirren, war es ihnen gelungen. Aus der Hütte zu entkommen, war vergleichsweise einfach. Dazu die Versorgung durch eine Ärztin, die eindeutig aus dem Westen stammte. Nichts ergab einen Sinn. Die Rolle der Frau war in den abgelegenen Bergregionen exakt definiert und die ärztliche Versorgung eines Mannes, mit dem keinerlei verwandtschaftliche Beziehung bestand, gehörte nicht dazu und konnte im Zweifel sogar zur Steinigung führen. Seine Ratlosigkeit wuchs, gleichzeitig aber auch die Hoffnung auf eine erfolgreiche Flucht. Vielleicht hatte er eine Chance, die offensichtlich zwiespältigen Gefühle der Ärztin auszunutzen. Die Vorstellung versetzte ihm einen scharfen Stich, den er darauf schob, dass ein solches Vorgehen allem widersprach, was seine Mutter ihm im Umgang mit Frauen beigebracht hatte. Andererseits hätte nicht einmal seine Mutter irgendwelche Benimmregeln für den Fall einer Flucht aus einem Talibanlager zitieren können.
Eins nach dem anderen, ermahnte er sich und griff nach dem Riegel. Die Packung schien nicht manipuliert worden zu sein und essen musste er sowieso. Ähnliche Riegel gehörten zur Standardausrüstung der SEAL s und hatten ihm noch nie geschmeckt, aber er konnte sich kaum erlauben, wählerisch zu sein. Sein Magen zog sich bei den ersten Bissen schmerzhaft zusammen, aber mit etwas Wasser widerstand er dem Würgereiz und aß die Powerriegel in Rekordzeit auf. Viel zu spät wurde ihm bewusst, dass er sich die kleine Wasserreserve in der Plastikflasche besser hätte einteilen müssen. Er hatte lediglich Jasmins Versprechen, dass sie mit frischem Wasser zurückkehren würde. Es gab keinen Grund, ihr zu vertrauen, und es war Zeit, dies zu akzeptieren.
Mit zusammengekniffenen
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