Luc - Fesseln der Vergangenheit
so einfach ist das Leben nicht. Wir mussten einen Weg finden, der allen gerecht wird, und ich glaube, wir haben ihn gefunden. Denk über meine Worte nach, wenn du wieder bei deinen Leuten bist. Vielleicht hast du schon gehört, dass ich zu Hamid gesagt habe, dass du mir kaum trauen wirst, du solltest es trotzdem tun. Wir haben über die möglichen Wege aus den Bergen gesprochen. Es gibt einen Pfad, der dich über die flache Bergkette jenseits der Piste führen wird. Nimm ihn, hör auf deinen Instinkt. Die Idioten draußen bewachen die fest verschlossene Tür und haben das Fenster bisher ignoriert. Hamid wird die Wachposten mit Einbruch der Dunkelheit für ungefähr eine Stunde von der Zufahrtsstraße abziehen. Mehr können wir für dich nicht tun. Wenn du später Sehnsucht nach mir hast, zum Beispiel, weil du endlich einsiehst, dass das eben ein fieser Dank war, dann findest du in dem Beutel einen Weg, dich bei mir zu entschuldigen.«
Luc hatte der erstaunlich langen Rede ruhig zugehört und keinen weiteren Versuch unternommen, ihn zu überwältigen. Einiges konnte er nachvollziehen, anderes später beurteilen. »Wie spät ist es?«
»Kurz nach drei. Du warst sehr lange bewusstlos. Damit habe ich nicht gerechnet. Das ist ein Warnzeichen deines Körpers, das du ernst nehmen solltest. Überanstreng dich nicht, geh es langsam an.« Kalil stand auf und zögerte. »Wenn du dich auf die Suche nach Jasmin begibst, tu dir und ihr einen Gefallen: Pass genau auf, wer dir dabei über die Schulter sieht. Du könntest euch ungewollt in tödliche Gefahr bringen, wenn du den falschen Leuten vertraust.«
Eine ähnliche Andeutung hatte Jasmin gemacht und sich dann auf die amerikanische Regierung bezogen. Kalils verschlossene Miene machte überdeutlich, dass Luc von ihm keine weiteren Informationen erfahren würde. »Botschaft angekommen.«
»Gut, ihr könnt euren ersten Sohn nach mir benennen.« Beim Aufstehen verzog Kalil zwar den Mund und atmete scharf ein, aber als er die Tür erreicht hatte, verbarg er sein voriges Humpeln.
Mit gemischten Gefühlen sah Luc ihm nach. Irgendwann würde er sich entscheiden müssen, ob er die Brüder als Feinde betrachtete. In einigen Stunden würde er definitiv wissen, ob er ihnen trauen konnte.
Kalil verabschiedete sich von Warzais Männern mit einigen höhnischen Bemerkungen. Ein Afghane mit Turban sah kurz ins Hausinnere und schloss sichtlich zufrieden die Tür, nachdem er Luc hilflos auf dem Boden liegend entdeckt hatte.
Luc wartete, bis er hörte, dass der Riegel wieder vorgeschoben worden war, und untersuchte dann den Beutel. Darin lagen einige Powerriegel und ein Messer, dessen Form an die Kampfmesser der SEAL s erinnerte. Der Griff war jedoch mit aufwendigen Schnitzereien verziert und mit Edelsteinen besetzt. Trotzdem lag es glatt und ausbalanciert in seiner Hand und war überraschend scharf. Die Waffe war ein Vermögen wert. Damit würde es ein Kinderspiel sein, die Fesseln loszuwerden. Eine dünne Kette mit einem Kreuzanhänger war um den Griff geschlungen und verriet, von wem das großzügige Geschenk kam. Die Wiedergutmachung seiner Fehleinschätzung war Mounas Vater gelungen.
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass in der Mauernische zwei gefüllte Wasserflaschen standen, nahm er die Flasche aus dem Beutel und trank durstig. Mit dem letzten Schluck spülte er zwei Tabletten herunter. Als Letztes stieß er auf einen Zettel, auf dem eine E-Mail-Adresse notiert war. Darunter stand in englischer Sprache: Nutze die Adresse, wenn du Sehnsucht nach uns hast, aber versuch erst gar nicht, die Mails zu verfolgen. Du landest nur auf einem russischen Server.
Der Junge war unglaublich. Luc verstaute das Messer und den Zettel in seiner Jeans und richtete sich auf eine unbequeme und lange Wartezeit ein. Sobald die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, würde er sich auf den Weg machen, bis dahin konnte er über Kalils und Hamids widersprüchliches Verhalten nachdenken.
Da er es nicht riskieren konnte einzuschlafen, vertrieb Luc sich die Zeit mit der Planung der Suche nach Jasmin. Es gab einige Punkte, an denen er ansetzen konnte, aber auch zahlreiche Unsicherheitsfaktoren. Wenn es drauf ankäme, würde er jede Stadt oder das ganze verdammte Land durchforsten, bis er sie gefunden und ihre Probleme gelöst hatte. Gedanklich sortierte er die Fakten, die sie ihm absichtlich oder unbewusst gegeben hatte. Es würde schwer werden, war aber nicht unmöglich, und als letzte Konsequenz blieb
Weitere Kostenlose Bücher