Luc - Fesseln der Vergangenheit
ihm, die Wahrheit aus einem der Kazim-Brüder herauszuprügeln.
13
Endlich brach die Dämmerung herein, die in den Bergen innerhalb kürzester Zeit in tiefe Dunkelheit überging.
Seine Kopfschmerzen waren einem dumpfen Pochen gewichen, mit dem er leben konnte. Mühelos durchschnitt er die Fesseln und lauschte angespannt. Ein kratzendes Geräusch an der Tür bestätigte seine Vermutung. Leise fluchend verbarg er den Beutel erneut unter der Decke, schlang sich das Seil locker um die Fußgelenke und richtete sich auf den oder die nächsten ungebetenen Besucher ein.
Warzais Männer hatten der Versuchung anscheinend nicht länger widerstehen können, sich ihren vermeintlich hilflosen Gefangenen vorzunehmen. Widerwillig spielte Luc weiter den Bewusstlosen und steckte den ersten Fußtritt in die Rippen reglos ein. Die Augen einen Spalt geöffnet, wartete er auf den richtigen Zeitpunkt. Als der Fuß des Mannes erneut vorschoss, packte er ihn am Gelenk und zog. Mit einem widerlichen Geräusch prallte der Hinterkopf des Afghanen auf den Boden. Von der unerwarteten Gegenwehr überrascht, starrte der zweite Mann ihn schockiert an. Perfekt. Mit einem Satz war Luc bei ihm und schlug ihn zu Boden. Benommen, aber noch bei Bewusstsein blickte der Afghane zu ihm hoch und konnte es offensichtlich immer noch nicht fassen, dass sich die Vorzeichen geändert hatten. Luc setzte mit einem Tritt gegen den Kiefer nach und erlöste ihn von seinen fruchtlosen Überlegungen, indem er ihn in die Bewusstlosigkeit schickte.
Trotz des Vorteils durch das Überraschungsmoment war er mit seiner Schnelligkeit zufrieden. Er war wieder im Spiel. Rasch nahm er den bewusstlosen Männern die Gewehre und Pistolen ab. Da er so viele Waffen nicht benötigte, überprüfte er die Magazine und begnügte sich mit einem Gewehr, einer Pistole und der Munition. Im Prinzip hatten die beiden Scheißkerle ihm mit den geplanten Misshandlungen einen Gefallen getan. Auf die Kazim-Brüder würde kein Verdacht fallen, aber diese beiden hatten ihrem Anführer jetzt einiges zu erklären. Wahrscheinlich wäre es humaner gewesen, ihnen eine Kugel in den Kopf zu jagen, als sie dem Zorn Warzais zu überlassen.
Vorsichtig spähte Luc durch die Tür und trat das Gewehr im Anschlag und den Stoffbeutel über der Schulter ins Freie. Im Schatten der Häuser erreichte er die niedrige Steinmauer, die gleichzeitig die Dorfgrenze darstellte, ohne bisher einen Menschen gesehen zu haben. Jetzt zögerte er. Eine kaum sichtbare Bewegung in einiger Entfernung neben einem Felsen hatte sein Misstrauen geweckt. Für einen Abstecher dorthin fehlte ihm die Zeit und sein Instinkt sagte ihm, dass sich dort niemand aufhielt, der ihm feindlich gesinnt war. Der hätte sich sonst wohl kaum die Gelegenheit zu einem Schuss aus dem Hinterhalt entgehen lassen.
Einem Impuls folgend, salutierte er lässig und lief dann im lockeren Joggingtempo die Zufahrtsstraße hinab. Als er den Punkt erreicht hatte, an dem am Vorabend der erste Wachposten gestanden hatte, arbeitete er sich langsam und lautlos durch die verstreuten Felsen weiter vor. Im hellen Mondlicht fand er problemlos die Stelle, an der sonst einer der Dorfbewohner über die Straße wachte. Der Ort war so verlassen, wie Kalil es angekündigt hatte. Trotzdem atmete Luc erleichtert auf, als er das Ende der Straße und damit die reguläre Piste erreicht hatte, merkte sich aber für einen späteren Zeitpunkt, dass der Afghane ihn nicht belogen hatte. Nachdenklich verharrte er einen Augenblick. Für die Brüder hätte es einige Vorteile gehabt, ihn auf der Flucht zu erschießen. Aber auch darüber würde er sich später ein Urteil bilden, zunächst musste er sich entscheiden, ob er Kalils Empfehlung folgte. Letztlich würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben. Der Pfad aus der Bergregion heraus lag direkt vor ihm, die Piste zu nutzen wäre Selbstmord und hätte zudem einen Umweg von etlichen Kilometern bedeutet. Mit seinem Wasservorrat und in seinem Zustand musste er den kürzesten Weg nehmen.
Viel zu schnell protestierten seine Muskeln gegen sein Lauftempo und zwangen ihn, sich langsamer fortzubewegen. Ein Hügel reihte sich an den anderen. Einziger Pluspunkt war, dass der Pfad breiter wurde und trotz der Steigungen gut zu überwinden war. Müll und gelegentlicher getrockneter Ziegenmist deuteten darauf hin, dass diese Route häufig von Hirten benutzt wurde, in den Sommermonaten jedoch vermutlich eher selten.
Im Schatten eines Felsens hielt er an,
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