Luca's Rezepte
liebenswerte Angewohnheit eingeschlichen. Es machte uns beiden Freude, diesen kurzen Moment miteinander zu teilen, und wir hatten uns eigentlich immer eine Menge zu erzählen. Ich stellte mehr und mehr fest, was für ein lebendiger, interessanter Mann mein Großvater eigentlich war.
Auf der Rückfahrt begann ich mir dann Gedanken zu machen, was wohl gerade in der Küche los war. Ich musste verrückt gewesen sein, Shiro ein ganzes Gericht anzuvertrauen, ohne dass ich Einfluss darauf nehmen konnte. Vertrauen hin, Vertrauen her. Wieso machte ich so einen Schwachsinn? Aber als er da mit seinem Messerkasten so vor mir stand...
Ich befürchtete das Schlimmste.
Als ich in die Küche kam, herrschte geschäftige Stimmung. Rosalia mischte gerade die Zutaten für das Cassata, Antonio war dabei, gegarte Artischocken von ihren Blättern zu befreien, um an die Herzen zu kommen, und Tomaso hatte die Vorbereitungen für den Restaurantbetrieb übernommen.
Shiro putzte konzentriert Pilze. Sein Messer lag blankgeputzt neben seinem Arbeitsplatz.
Als sie mich bemerkten, unterbrach Antonio seine Arbeit, griff wortlos nach einem Schälchen im Regal über seinem Kopf und stellte es mit ernster Miene vor mich hin: Möhren.
»Probier!«, forderte er mich auf.
Ich würde Ärger bekommen, das war mir jetzt klar.
Aber ich tat wie verlangt und fischte mir mit den Fingern einen der Möhrenstifte heraus.
Optisch machte er zumindest einen guten Eindruck.
Dann folgte die Überraschung
Die Möhren waren ausgezeichnet. Ja, sogar besser, als sie es nach meinen Zutaten hätten sein dürfen.
Da war ein Hauch Ingwer. Er schmeckte kaum durch, aber er verlieh den Möhren eine milde Schärfe. Und da war noch etwas. Etwas Blumiges, das sich ausgezeichnet mit den anderen Aromen verband und dem Gericht etwas Besonderes verlieh. Shiro hatte Zitrone dazugegeben, um die Wurzel-Note vom Ingwer zu kappen. Doch da war noch etwas, etwas, das ich nicht sofort einordnen konnte.
Koriander – das war es! Aber nicht der frische, dessen seifiger Geschmack schnell nerven konnte, sondern die fein gemahlenen Samen der Pflanze, die ein weiches, sanft-würziges Aroma abgaben, das angenehm mit der Süße der Möhren harmonierte.
»Du hast Koriander an die Möhren gegeben?«
Shiro grinste breit über das ganze Gesicht und nickte. »Hab ich...«
Mittlerweile hatten sich alle um mich versammelt und beobachteten neugierig meine Reaktion.
»Wenn ich ein verdammter Koch bin...«, begann ich.
»Ja?« Shiros Grinsen wurde noch breiter.
»...Dann bist du ein...ein verdammter Japaner.«
»Bin ich! Mit einem tollen japanischen Messer.«
Was folgte, war ein großes Hallo und ein hochzufriedener Antonio. Shiro wurde von allen beglückwünscht, sie klopften ihm auf die Schultern und witzelten über den künftigen Meisterkoch. Antonio verkündete ständig voller Stolz, er hätte es ja immer gewusst. Shiro selbst nahm dankbar die Lobeshymnen entgegen und einmal, ganz kurz, sah er zu mir, in meine Augen und strahlte mich an.
Nun könnte man meinen, ein paar Möhren zuzubereiten wäre keine große Sache. War es auch nicht, aber es waren zwei Dinge passiert: Zum einen hatte Shiro selbstständig ein Gericht zubereitet, entschieden, welche Mengen von welchen Zutaten verwendet werden mussten, was einfach klingt, es aber nicht ist. Und zum anderen - er hatte ein eigenes Rezept entwickelt, hatte seiner Kreativität freien Lauf gelassen. Er hatte gehandelt und gedacht wie ein Koch.
Das war das Besondere.
Aus Shiro würde ein Koch.
Die kommenden Wochen waren schöne Wochen.
Das Wetter entwickelte sich prächtig, nicht so heiß wie gewöhnlich, und das Restaurant lief super. Sowohl was die Gästezahlen anging als auch die Küche.
Pietro hatte vorerst seine Rimini-Pläne über Bord geworfen, was vor allem Antonio freute. Jetzt, in der Saison, brauchten wir wirklich jede Hand.
Auch die von Shiro. Und im Nachhinein musste ich zugeben, dass Antonios Entscheidung, ihn als zweiten Lehrling einzustellen, klug und richtig gewesen war.
Shiro entwickelte sich rasant.
Sein gewonnenes Selbstvertrauen wirkte sich spürbar auf seine Arbeit aus. Es machte einfach Spaß, mit ihm zu kochen. Und das Messer erwies sich als wahres Wunderwerkzeug. Natürlich waren wir alle interessiert daran, es auch einmal auszuprobieren. Shiro erfüllte bereitwillig alle Wünsche in dieser Richtung, aber ich spürte, dass es ihm nicht so ganz behagte, es aus der Hand zu geben. Auch da dachte er wie
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