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Luca's Rezepte

Luca's Rezepte

Titel: Luca's Rezepte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Mahrenholz
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irgend etwas Bestimmtes zu denken, doch schließlich trottete ich, Osso im Schlepptau, betreten ins Haus zurück und legte mich erst einmal wieder hin. Ich fühlte mich leer und traurig.
    Ich hatte viel erfahren in dieser Nacht, im Dunkeln, mit leiser Musik im Hintergrund.
    Shiro hatte begonnen zu erzählen.
    Während ich auf dem Rücken lag, dabei ins Nichts starrte, hörte ich ihm zu - und begann zu begreifen.
    Shiro beschrieb seinen Vater, schilderte mir, wie seine Kindheit verlaufen war, und je länger er erzählte, desto aufgewühlter wurde ich innerlich. Sprachloser.
    Alessandro Comero war nicht der gute Freund aus den Erzählungen meines Vaters, nicht der allseits beliebte, humorvolle Menschenfreund.
    Alessandro Comero war ein Schläger, ein jähzorniger unberechenbarer Despot, der seine Frau und seinen Sohn schikaniert hatte, über all die Jahre hinweg.
    Ayumi Comero hielt still, um Shiro zu schützen, und Shiro schwieg aus Angst um seine Mutter...
    »Irgendwann...«, erzählte Shiro ins Dunkle hinein, »...schlug er so zu, dass er meinen Kehlkopf traf. Er benutzt zum Schlagen ein Stück Seife, das er in einen Strumpf steckt. Seine Hand benutzt er nur selten. Ich war, glaube ich, elf...«
    Einen Moment schwieg er, war ganz bei seiner Erinnerung und die gesprochenen Worte standen einfach im Raum.
    »Seitdem ist meine Stimme nicht mehr so wie vorher.«
    Ich schluckte und spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten.
    »Das mit der Seife hatte er sich aus irgendeinem Film abgeguckt...«, erzählte er weiter. »...Da war er immer ganz stolz drauf. Macht keine blauen Flecken - als ob wir darüber froh sein sollten... außerdem stimmte das nicht.«
    Ich hasste Alessandro Comero.
    »Wenn er sich meine Mutter vornahm, sperrte er mich in den Keller. Ich hörte dann ihr Weinen. Geschrien hat sie nie... Manchmal vergaß er, mich aus dem Keller raus zu lassen. Einmal habe ich zwei Tage da unten gehockt. Danach hat er mich verprügelt, weil er mich gesucht und nicht gefunden hatte.«
    Seine Stimme klang so weich, als er erzählte und so verletzlich, dass ich es kaum aushalten konnte.
    »Du musst mit Antonio darüber sprechen, oder mit Valentina«, sagte ich irgendwann.
    »Auf keinen Fall!« Shiro setzte sich auf und sah mich im Dunklen an. »Du musst mir versprechen, dass du mit niemandem darüber sprichst.«
    »Aber du musst! Sonst wird sich nie etwas ändern.«
    Ich konnte ihn in dieser Nacht nicht überzeugen. Und ich spürte seine Panik davor, dass ich mich irgendjemandem anvertrauen könnte. Also versprach ich ihm schweren Herzens, alles, was er mir erzählt hatte, für mich zu behalten.
    Sehr viel später schlief Shiro ein. Ich hörte es an seinem regelmäßigen Atem.
    Ich selbst lag noch die halbe Nacht wach und die Hölle, von der ich erfahren hatte, tobte durch meinen Kopf.
    Irgendwann umarmte ich Shiro vorsichtig. Nach geraumer Zeit fiel ich dann in einen traumlosen tiefen Schlaf, der erst durch Valentinas Klopfen unterbrochen wurde.
     
    Ich schnippte die Asche meiner Zigarette in den Sand und beobachtete, wie der Wind sie langsam davontrug. Müdigkeit machte mir zu schaffen. Die allmählich einsetzende Hitze tat ihr übriges.
    Irgendwie war ich auf mich selbst zurückgeworfen, saß einfach da und fühlte mich innerlich leer und überfüllt zugleich.
    Mein Leben war bislang in so einfachen, so übersichtlichen Bahnen verlaufen. Alles war klar. Ich wusste immer ganz genau, wohin mich mein Weg führen würde, hatte nie einen Zweifel, dass es für mich immer geradeaus ging. Die größten Probleme, die ich kannte, wenn überhaupt, ließen sich meist mit etwas Butter oder durch die Zugabe von Sahne beseitigen.
    Jetzt, nach dieser Nacht, war plötzlich alles anders.
    Die Bilder, die nun in meinem Kopf die Oberhand gewonnen hatten, stellten so viel in Frage, und das erste Mal spürte ich so etwas wie Machtlosigkeit in mir.
    Die Gewalt, von der ich erfahren hatte, ließ mich nicht mehr los. Sie hatte sich nicht nur tief in meinen Kopf eingenistet, sondern ein Stückweit auch in mein Herz. Und ich konnte nichts tun. Durfte es nicht. Das hatte ich versprochen.
    Was war jetzt gerade mit Shiro? Laut Sonnenstand war es früher Mittag, also war er nun vermutlich bei seiner Mutter in Perugia. Das hoffte ich zumindest. Aber meine Fantasie ließ mich nicht in Ruhe, fing an, sich Szenarien auszudenken, von Alessandro Comero, der Druck auf Shiro ausübte, der ihn zwingen würde, nach Hause zurückzukehren, schon alleine um

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