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Luca's Rezepte

Luca's Rezepte

Titel: Luca's Rezepte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Mahrenholz
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die Küche betrat.
    Sein Blick fuhr hoch, und für den Bruchteil eines Moments sah ich so etwas wie Erleichterung zwischen all dem Verzweifelten, das mir da ungefiltert entgegenkam. Er sprang auf, umarmte mich, und hielt mich so fest, dass es beinahe weh tat.
    »Renzo... was ist los? Was ist passiert...?« Ich löste mich vorsichtig aus seiner Umarmung, nahm sein Gesicht in meine Hände und sah suchend in seine Augen. Sie waren rotgerändert und blickten mich unendlich traurig an.
    »...Antonio...«, sagte er nur.
    Mir wurde kalt. »...Was ist mit ihm...?«, hörte ich mich fragen, wie von ganz weit entfernt, aber ich kannte die Antwort bereits.
    Und so, als wüsste Lorenzo das, nickte er nur, legte seinen Kopf auf meine Schulter und begann hemmungslos zu weinen.
    Ich war fassungslos. Vater - tot. Ich wurde steif wie ein Brett, meinen verzweifelten Bruder im Arm, zu keiner Regung fähig.
    Wir standen einfach nur so da, standen und standen, ich strich über Renzos Rücken, und alles um mich herum wirkte mit einem Mal so unglaublich banal.
    »...Wie?«, fragte ich schließlich, nach endlos langer Zeit aus weiter Ferne.
    »...Schlaganfall...«
    »...Oh Gott...« Ich schloss die Augen. »...Und Mutter?«
    Renzos Rücken versteifte sich für einen Moment, dann sah er mich an, irritiert und fragend, durch die Tränen hindurch, doch dann, dann begriff er mit einem Male. »Nicht Vater, Luca...« Er schüttelte den Kopf, als wolle er einen lästigen Gedanken loswerden. »...Antonio!... Mein ... Antonio...« Wieder nahm die Verzweiflung von ihm Besitz.  
    Und da begriff ich endlich.
    Antonio Gosalli! Der Galerist Antonio Gosalli aus Ravenna war gestorben.
    Und das Bild, die Fotografie meines Bruders, tauchte plötzlich vor meinem inneren Auge auf - dieses wunderbare, eindringliche Selbst-Porträt, was bei Antonio Gosalli hing, und dann, mit einem Male, begann ich tatsächlich zu begreifen.
    Dieser Blick - er hatte nur eins zu bedeuten...
     
    »Unglaublich...!«, flüsterte Shiro, obwohl dazu kein Anlass mehr bestand »...Der alte, fette Galerist...«
    Wir hatten den fix und fertigen Lorenzo gegen Morgen in unserem kleinsten Zimmer untergebracht, das uns eigentlich als Abstellkammer diente. Pius sei Dank, existierte in unserem Haushalt eine Luftmatratze.
    »Ja... schwer vorstellbar«, stimmte ich ihm zu, irritiert über die Schärfe in seiner Stimme. »...Aber ich mochte ihn. Er war nett...«
    » Nett ? Ein Päderast war das! Das ist nicht nett . Ekelhaft ist das...«  
    »Lorenzo schien ihn aber geliebt zu haben...«, wandte ich ein, worauf Shiro mich erst musterte und dann den Kopf schüttelte.
    »Meinst du nicht, dass du da was verwechselst?«
    »Was meinst du?«
    »Wie alt ist Lorenzo, he?«
    Ich dachte nach. »Zweiundzwanzig! Ja, er müsste jetzt zweiundzwanzig sein...«
    »Und dieser Antonio, der geile Sack, wie alt war der...«
    »Naja, so Mitte fünfzig glaube ich...«
    »...Über sechzig! Garantiert! Ein knallhartes Abhängigkeitsverhältnis. Das war das! Nichts mit Liebe oder so... Lorenzo glaubt vielleicht, dass es das war, aber, nee, da hat sich ne ganz fiese Nummer abgespielt. Glaub mir...«  
    Je länger ich darüber nachdachte, desto weniger wusste ich, was ich davon halten sollte. Schräg war es schon. Und schwer vorstellbar, allein schon optisch. Doch auf der anderen Seite: Wie konnten wir uns da ein Urteil erlauben? Lorenzos Trauer war echt. Und Antonio Gosalli konnte zu seiner Verteidigung nichts mehr vorbringen.
    »Wäre das in Ordnung gewesen...«, setzte Shiro seine schonungslose Analyse fort, »Hätte er Lorenzo wirklich geliebt, wie du behauptest, dann hätte er so was nie zugelassen und die Finger von ihm gelassen... aber so - nein!«  
    »Ich verstehe, was du meinst...«, sagte ich nachdenklich.
    »Na bitte.«
    »Ja. Aber ich glaube, du irrst dich...«
    Und ich stellte erstaunt fest, wie selten es Momente gab, in denen wir nicht einer Meinung waren.
    Gut eigentlich...
     
    Lorenzo würde nach Antonios Beerdigung vorerst bei uns bleiben. Das hatten wir am nächsten Morgen zu dritt bei einem Caffè entschieden, und wieder einmal überraschte mich Pius mit seiner unkomplizierten Art.
    »Ich mag ihn. Er ist nett...«, befand er, und ich fragte mich, wann er das herausgefunden haben wollte. Zwischen der vierten und sechsten Heul-Attacke?
    Übergangsweise konnte Renzo in unserer Kammer schlafen, ansonsten rückten wir zusammen.
    Was noch ausstand - zumindest für ihn - war die Auseinandersetzung mit

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