Lucas
Herz stampfte und meine Beine waren ganz schwach. Halb erwarteteich, dass eine Hand nach meinem Arm greifen würde – aber nichts geschah.
Ich glaube nicht, dass ich in dem Moment Angst hatte, ich war einfach nur wütend. Wütend auf mich . . . ich weiß nicht, warum. Weil ich da war, nehme ich an. Wütend, dass er mich wütend gemacht hatte.
Nach einem halben Dutzend Schritten hörte ich ihn hinter mir herknirschen und mit freundlicher Stimme rufen: »Warte, Caity, warte doch mal. Ich will dich was fragen.«
Ich ging weiter.
Ich dachte, ich wäre im Vorteil. Ich hatte Schuhe an, Jamie nicht. Barfuß auf scharfen Kieselsteinen zu laufen ist nicht gerade leicht. Aber nach wenigen Sekunden hatte er mich eingeholt und lief hopsend und grinsend neben mir her.
»Hey, wo brennt’s? Warum so eilig?«
»Ich hab dir doch gesagt, ich muss meinen Hund suchen.«
»Wie heißt er denn?«
»Deefer.«
»Deafer?«, lachte er. »Deaf wie ›taub‹? Tauber Hund? Das ist gut. Sehr
einfallsreich
.« Er lachte wieder, dann legte er die Hände um seinen Mund und fing an zu rufen: »Dea-fer! Deafer! Dea-fer! Dea-fer . . .« – und drehte sich beim Gehen im Kreis wie die Scheinwerfer eines Leuchtturms – »Dea-fer! Deafer! Deafer!«
Ich lief weiter Richtung Bunker und überlegte, was ich tun könnte. Es gab alle möglichen unschönen Gerüchte über Jamie Tait, von denen er die meisten, wie Dominic meinte, selbst in die Welt gesetzt hatte. »Jamie ist okay«, hatte mir Dom mal gesagt. »Er muss nur ab und zu ein bisschen Dampfablassen. Der ganze Kram, dass er verrückt sei, ist nur Inselgerede. Jamie ist ein Teddybär, ehrlich.«
Nun ja, dachte ich, Teddybär hin oder her, je schneller ich Deefer finde und nach Hause komme, desto besser.
Inzwischen hatte ich den Bunker erreicht. Ein gedrungener kreisförmiger Bau, halb im Boden versunken, mit dicken Betonmauern und Flachdach, der aussieht – und riecht – wie eine schmuddelige öffentliche Toilette. Ich runzelte die Nase von dem Gestank und versuchte zu verschwinden, aber ich wusste nicht, welche Richtung ich einschlagen sollte. Sollte ich den Weg durch die Salzwiesen nehmen und Richtung zu Hause gehen oder sollte ich lieber zurück an den Strand laufen und weiter nach Deefer suchen? Welchen Weg? Salzwiesen, Strand, zurück zum Point . . .?
Jamie hatte mit seinem schwachsinnigen Geschrei aufgehört, sprang am Rand der Salzwiesen entlang und stocherte im Schilf rum. »Hier steckt er nicht drin«, rief er mir zu und bückte sich, um einen Stock aufzuheben, der genau auf der Grenzlinie des Strands lag. »Hey, vielleicht hat er den Duft von Rita Grays Hündin in der Nase. Du weißt, wie Hunde reagieren, wenn sie den Geruch wittern.« Er stieß den Stock gegen eine leere Coladose, dann kam er auf mich zu. »Wie geht’s eigentlich Bill? Ist sie immer noch scharf auf deinen Bruder?«
Ich beachtete ihn nicht und ließ meinen Blick über den Strand wandern, aber durch das abnehmende Licht wirkte alles unscharf und es war, als könnte ich mich auf nichts mehr konzentrieren. Der Himmel wurde dunkler, mit gelben und grauen Streifen dazwischen, und das Meer wirkte jetzt schwarz und eisig.
Jamie kam mit dem Stock über der Schulter auf mich zu. »So«, sagte er, »und was machen wir jetzt?« Ich schob die Hände in meine Taschen und sagte nichts. Er lächelte und nickte in Richtung des Bunkers hinter mir. »Mein Umkleideraum.«
»Was?«
»Der Bunker, da zieh ich mich um.« Er schaute auf seine Badehose herab. »Du denkst doch wohl nicht, ich laufe so den ganzen Weg zurück, mit nichts an außer der Badehose? Die buchten mich ja ein.«
Ich schaute weg. »Ich muss jetzt los.«
Er kam näher. »Wie geht’s deinem alten Herrn, Cait? Schreibt er weiter unartige Bücher für Kids?«
Ich sagte nichts.
Jamie grinste. Er atmete immer noch schwer, aber nicht, weil er außer Atem war.
»Ich muss mal wieder vorbeikommen«, sagte er. »Mich unterhalten mit dem bedeutenden Mann. Was meinst du? Ich und Johnny McCann. Johnny Mac. Wir könnten zusammen einen trinken, einen kleinen Irish Whiskey, eine rauchen . . . Was hältst du davon, Cait? Würde dir das gefallen?«
»Tschüss, Jamie«, sagte ich und wandte mich ab, um zu gehen.
Er reagierte schnell, trat vor mich hin und senkte den Stock, um mir den Weg zu versperren. Ein kaltes Leuchten vereiste seinen Blick. »Ich habe dich was gefragt, Cait.«
»Geh aus dem Weg –«
»Ich hab dich was gefragt.«
»Bitte, ich will nach Hause .
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