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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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gut aussehende Junge auf der Brücke.«
    »Auf dem Damm?«
    Er trank einen weiteren Schluck. »Brücke, Damm, was auch immer . . . Hat er dich nicht verwundert?«
    »Verwundert, wieso? Wovon redest du, Dad?«
    »Von Geheimnissen«, sagte er und zwinkerte dabei mit den Augen.
    »Ich glaub, du hast zu viel getrunken.«
    »Ich bin ganz klar.«
    »So siehst du aber nicht aus.«
    »Na ja, ist ein ziemlich kurioser Tag gewesen.«
    »Ja.«
    Er schaute mich einen Moment an, sein Kopf schwankte leicht auf den Schultern, dann holte er tief Luft und stand auf. »Also, ich mach dann wohl besser weiter. Mal sehen, ob ich was hinkriege, das uns die Rechnungen bezahlt . . .« Er lächelte wieder, dann drehte er sich um, griff nach Flasche und Glas und ging Richtung Tür.
    »Dad?«, sagte ich.
    »Ja, Kleines?«
    »Trink nicht zu viel, okay?«
    »Okay.«
    »Bitte.«
    »Ich geb dir mein Wort.« Er kam zu mir und küsste mich, dann schlurfte er hinaus, zurück in sein Arbeitszimmer. Sein Atem roch nach Whiskey und süßem Tabak.
     
    Nachts konnte ich lange nicht einschlafen. Die Luft war schwer und stickig, ich fand keine Ruhe. Die Bettdecke erdrückte mich, das Kissen war zu weich, zu dick, die Matratze zu hart. Ich konnte nicht aufhören an das zu denken, was am Strand passiert war. Jamie Tait. Das Gefühl seiner Hand, seine gruseligen Augen, seine schmierige Haut . . . Ich wusste, ich sollte mit jemandem drüber reden, aber ich hatte keine Ahnung, mit wem. Und selbst wenn ich es jemandem erzählte, was käme dabei heraus? Es stand meine Aussage gegen seine. Er war ein Lokalheld, ein Oxford-Student, der Sohn eines Parlamentsabgeordneten. Und was war ich? Nichts, nur ein merkwürdiges kleines Mädchen mit Puscheln im Haar, ein Mädchen, das immer die gleichen Klamotten trug. Die mutterlose Tochter eines Schriftstellers ohne Frau . . .
    Und überhaupt, überlegte ich weiter, was war denn wirklich passiert? Er hat dich doch kaum berührt, oder? Er hat ja gar nichts
getan
. . . er hat dich doch kaum berührt . . .
    Dann fing ich wieder an zu weinen.
     
    Später, als ich am offenen Fenster saß und hinaus in das Dunkel schaute, hörte ich Dad leise in seinem Arbeitszimmer singen. Die Worte trieben sanft durch die Nachtluft:
»
. . .
Oh, I’ll take you back, Kathleen
. . .
to where your heart will feel no pain
. . .
and when the fields are fresh and green I’ll take you to your home again
. . .
«
     
    Irgendwann schlief ich ein, aber in den frühen Morgenstunden weckte mich Deefers Bellen, als ein Auto dröhnend den Weg entlangkam und quietschend auf dem Hof anhielt. Gelächter und betrunkene Stimmen zerrissen die Nacht.
    »Ha, wir sind da! Dommo, Dommo . . .«
    »Pass auf!«
    »Wuff! Wuff!«
    »Mann, ich kann nicht raus.«
    »Hey, hey, Caity   –«
    »Schhh!«
    »Pass auf die scheiß
Tür
auf   –«
    »Ha! Jaaa doch . . .«
    Nach ein paar Minuten Türenschlagen und Grölen heulte der Motor auf, der Wagen fuhr donnernd einen Bogen über den Hof und schließlich den Weg zurück. Ich lag im Bett und lauschte auf die schweren Schritte, die sich über den Hof schleppten, das Husten, dann das Stochern des Schlüssels in der Haustür, die Tür ging auf und schlug wieder zu, Dominic stolperte in den Flur und ging danach auf Zehenspitzen geräuschvoll die Treppe hinauf in sein Zimmer. Schon nach fünf Minuten drang sein betrunkenes Schnarchen durch die Wände.
    Ich schloss die Augen.
    Die Stimmen . . .
    Hey, hey, Caity –
    Schhh!
    Ich war mir nicht sicher, aber die eine, die
Schhh!
machte, hatte nach Bill geklungen. Und die andere, die, die meinen Namen gerufen hatte – das war Jamie Tait.

Zwei
    A m nächsten Tag verließ ich gegen ein Uhr das Haus und lief über die Insel, um mich mit Bill zu treffen. Ich hatte nicht viel geschlafen, deshalb fühlte ich mich ziemlich beschissen und hatte überhaupt keine Lust auf einen Sonntagnachmittag in der Stadt, aber ich sah keinen Ausweg. Es war zu spät, um anzurufen und abzusagen, und einfach nicht aufkreuzen ging ja wohl auch nicht. Na ja,
ging
schon . . . aber dann würde ich wahrscheinlich den ganzen Tag rumsitzen, mich mit meiner Entscheidung abquälen, drauf warten, dass Bill anriefe und total sauer auf mich wäre, und das wollte ich nicht. Es gab schon so genügend Spannung zwischen uns.
    Die Bushaltestelle, die wir als Treffpunkt ausgemacht hatten, liegt im Westen der Insel, mitten im Dorf. Normalerweise wäre ich am Strand entlanggegangen und hätte dann die Abkürzung durch den

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