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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Country Park genommen, aber nach der Geschichte mit Jamie Tait fand ich, ich sollte den Strand erst mal eine Weile meiden. Also schlug ich den weiteren Weg ein und folgte erst der östlichen Straße bis zum Damm und dann der Inselstraße nach Süden ins Dorf. Es war ein schöner Tag zum Laufen – heiß, hell und klar, mit einer leichten Brise,die die Haut kühlte   –, aber meine Laune besserte sich davon nicht. Ich war müde. Besorgt. Gekränkt. Die Erinnerung an die letzte Nacht setzte mir immer noch zu – das Autogeräusch, die lauten Stimmen, Dominic, Jamie Tait . . . und Bill. Ich musste immer wieder dran denken. Was in aller Welt hatte sie mit denen zu tun? Hatte ich
wirklich
ihre Stimme gehört? War es
wirklich
sie gewesen? In der Nacht hätte ich es beschwören können, aber jetzt, auf dem Weg Richtung Dorf setzten die Zweifel ein. Im hellen Tageslicht schien die Nacht weit weg und die Erinnerung an die betrunkenen Stimmen löste sich mit jedem Schritt weiter auf. Bis ich an der Bushaltestelle ankam, war ich mir weitgehend sicher, dass ich mich geirrt haben musste. Bill mochte sich verändert haben, sagte ich mir, sie mochte schneller erwachsen geworden sein als ich, sie mochte vielleicht auch ab und zu ein bisschen über die Stränge schlagen – aber trotzdem . . . mit Dominic, Jamie und wer weiß wem noch bis in die frühen Morgenstunden saufen?
    Nein.
    Niemals.
    So dumm war sie nicht.
     
    Sie stand nicht an der Bushaltestelle.
     
    Um zwei Uhr war der Bus längst auf und davon; aber von Bill war immer noch nichts zu sehen. Es machte mir nicht viel aus zu warten, doch langsam fühlte ich mich etwas unwohl, so wie ich aussah. Bills Vorschlag – ich solle mich ein bisschen
aufbrezeln
– hatte mich völlig durcheinander gebracht, übereine Stunde hatte ich am Morgen vor dem Schrank gestanden und versucht zu entscheiden, was ich anziehen sollte. Wenn ich mich so gestylt hätte, wie sie wollte, wär ich mir lächerlich vorgekommen. Ich wäre gestorben vor Peinlichkeit, wenn ich wie eine fünfzehnjährige Prostituierte durch die Stadt hätte laufen müssen. Aber andererseits, wenn ich Bills Vorschlag ganz ignoriert und meine normalen Klamotten angezogen hätte, wäre es zu einer Riesenszene gekommen. Schließlich würde sie selbst richtig geil angezogen sein – genau genommen mehr ausgezogen als angezogen – und deshalb glauben, ich hätte mich absichtlich nicht zurechtgemacht, um sie wie ein Flittchen erscheinen zu lassen. Wenn wir aber
beide
wie Flittchen gestylt waren, dann war das gut, dann war es in Ordnung . . .
    Völlig verwirrend.
    Am Ende hatte ich mich für einen Kompromiss entschieden: abgeschnittene Jeans, knappes schwarzes Top, die schwarzen Haare mit Gel nach hinten gekämmt und Sonnenbrille auf. Aber kein Lippenstift und definitiv keine Highheels.
    Mit dem Endergebnis war ich nicht mal
unglücklich
, ich fand sogar, ich sah ziemlich gut aus. Es ist nur einfach so, dass ich es nicht gewohnt bin, mich aufzudonnern. Ich fühlte mich fremd, irgendwie unnatürlich, als versuchte ich jemand anderes zu sein, und je länger ich an der Bushaltestelle stand und wartete, desto mehr hatte ich das Gefühl, jeder würde mich anstarren.
    Bis zehn nach zwei hatte ich den Fahrplan überprüft, mich hingesetzt, war wieder aufgestanden und eine Weile herumspaziert, hatte mich abermals hingesetzt und jetzt las ich ungefähr zum dritten Mal das Poster mit den Dorfveranstaltungen:
Samstag, 29.   Juli
(heute)
– Flohmarkt im Gemeindesaal. Sonntag, 30.   Juli   – Konzert im Country Park, Blaskapellen + Moulton Majorettes, Eintritt frei. Samstag, 5.   August   – West Hale Regatta: jede Menge Familienspaß. Samstag, 12.   August   – Sommerfest in Hale
. . .
    »Du hast doch nicht etwa vergessen, wann es ist, oder?«
    Der Klang der Stimme schreckte mich auf. Mein Körper zuckte leicht zusammen, ich drehte mich um und sah Simon Reed am anderen Ende des Wartehäuschens stehen und sich mit einer langen Rolle Zeichenpapier gegen die Brust schlagen.
    »Das Sommerfest«, erklärte er und nickte in Richtung Poster.
    »Ach so . . . ja«, stammelte ich. »Eh, nein . . . nein, hab ich nicht vergessen. Ich warte nur . . . ich warte auf Bill.«
    »Der Bus ist weg, der ist schon vor zwanzig Minuten gefahren.«
    »Ja, ich weiß.«
    Ich sah, wie er kurz auf meine Beine schaute, dann senkte er den Blick noch tiefer und starrte zu Boden, unsicher, was er sagen sollte. Simon ist immer unsicher, was er sagen soll.

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