Lucas
»Ich besorg’s. Wie gibt es das denn – in einzelnen Bögen oder als Block?«
»Also, wenn du ungefähr ein halbes Dutzend Bögen mitbringen könntest . . .«
»Weiß?«
»Ja, danke.«
»Schon in Ordnung.«
Er nickte wieder, dann wandte er seine Aufmerksamkeit erneut dem Bürgersteig zu. Ein peinliches Schweigen hing in der Luft. Einen Moment überlegte ich, ihn zu fragen, ob er mit uns zusammen in die Stadt fahren wolle. Ich wusste genau, er würde Nein sagen, aber vielleicht gefiele es ihm ja trotzdem, wenn ich ihn fragte. Würde es mir gefallen, überlegte ich, wenn ich er wäre?
Wahrscheinlich nicht.
»Gehst du nächsten Sonntag zur Regatta?«, fragte ich.
»Ich glaub nicht.«
»Warum nicht?«
»Weiß nicht . . . ist nicht so mein Ding.«
»Du könntest mit uns kommen, wenn du magst. Normalerweise verfolgen wir die Regatta von der kleinen Klippe oben über der Bucht aus. Da ist es ruhig.«
»Hm, ja, vielleicht.«
»Sind nur ich und mein Vater da . . . und Deefer.«
»Was ist mit deinem Bruder?«
Ich lachte. »Eher unwahrscheinlich, dass der mit uns geht.«
»Also, ich weiß nicht . . .«
»Komm schon, es wird lustig.« Aber dann redete ich nicht weiter, weil ich merkte, dass ich wie Bill klang, wenn sie versuchte
mich
zu überreden, wir sollten was unternehmen.
»Was?«, fragte Simon.
»Nichts, egal.« Ich wechselte das Thema. »Wann kommst du am Freitag?«
»Eh . . . so um . . . sechs Uhr? Ist das in Ordnung? Ich könnte auch früher, wenn –«
»Nein, sechs Uhr ist gut . . . Ich hab übrigens die Info über das Vogelschutzgebiet bekommen. Sie haben einen ganzen Stapel Material geschickt – Broschüren, Buttons . . .«
»Sehr gut«, sagte er. »Ich dachte, wir könnten –«
Er unterbrach sich mitten im Satz und wir beide blickten auf, als ein hellgrünes Auto mit Schrägheck den Motor aufheulen ließ und am Straßenrand stehen blieb. Aus den offenen Fenstern wummerten Bassbeats. Der Fahrer war ein fetterjunger Typ mit Muscleshirt und Sonnenbrille, den ich als Robbie Dean erkannte. Das Kaugummi kauende Mädchen neben ihm auf dem Beifahrersitz war seine jüngere Schwester Angel. Gerade als ich dachte: O Gott, was wollen
die
denn?
,
lehnte sich Bill mit einem breiten Grinsen aus dem hinteren Fenster.
»Hey, Cait!«, rief sie. »Caity! Los, komm!«
Ich schaute sie ungläubig an. Was hatte sie denn mit den Deans zu schaffen? Was
sollte
das? Ich sah verlegen zu Simon. Der war völlig in seinem Mantel versunken und bemühte sich angestrengt, nicht auszusehen, als ob er sich unwohl fühle. Ich wollte ihm etwas sagen, aber ich wusste nicht, was.
»
Mach
schon, Cait«, kreischte Bill und ließ die Wagentür aufschwingen. »Beweg deinen Arsch, Mädchen.«
»Ich geh dann besser«, murmelte ich Simon zu. »Wir sehen uns also am Freitag, ja?«
Sein Blick klebte weiter am Bürgersteig, als ich zu dem wummernden Wagen hinüberging, einmal tief durchatmete und einstieg.
»Ist doch besser als der Bus, was?«, sagte Bill und zündete sich eine Zigarette an.
Wir rasten in einem beißenden Dunst aus Zigarettenqualm und Parfüm über den Damm.
»Was?«, brüllte ich über die ohrenbetäubenden Drumbeats hinweg.
»Ist doch besser als der Bus!«, brüllte Bill zurück.
»Ja . . . super.«
Sie bot mir auch eine Zigarette an. »Willst du?«
»Nein, danke.«
»Und? Wie findest du’s?«
»Was?«
Sie drehte sich so, dass sie mir ins Gesicht sah, Hände auf den Hüften, und setzte sich in Pose. »Wie findest du’s? Gefällt’s dir?«
Es
war ein enges trägerloses Top, ein unglaublich kurzer zweifarbiger Rock und ein Paar metallicgraue Schuhe mit Bändern um die Knöchel und fast acht Zentimeter hohen Plateausohlen. Durch die blond gesträhnten, mit Gel gestriegelten Haare, den purpurfarbenen Lippenstift und die voll geschminkten Augen wirkte sie wie ein achtzehnjähriges T V-Sternchen auf nächtlicher Kneipentour mit ihren Freundinnen.
»Sehr schön«, antwortete ich.
Sie schlug mir auf den Schenkel. »Ich seh, du hast dich ja auch angestrengt – hey, Angel, hab ich’s dir nicht gesagt? Angel?«
Das Mädchen auf dem Beifahrersitz drehte sich zu uns um, ließ ihr Kaugummi platzen und musterte mich mit kaltem Blick von oben bis unten. Sie war sechzehn, ging aber leicht für einundzwanzig durch. Lockiges wasserstoffblondes Haar, blau angemalte Augen, Lippen wie Madonna und die passende Haltung dazu. »Ja«, sagte sie und fasste sich an das Oberteil ihres durchscheinend weißen
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