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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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schmerzverzerrt oder zumindest erstaunt gucken würde, aber nichts davon lag in seinen Augen. Absolut nichts. Es war der emotionslose Blick eines Tiers, ein Blick des reinen Instinkts.
    Ein Blick, der mich gesehen hatte.
    »Dreckige Zigeuner«, sagte Robbie und spuckte aus, dann zündete er sich eine Zigarette an.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    »Zigeuner, Landstreicher – hey, was spielst du eigentlich für ein Scheißspiel? Auf welcher Seite stehst du überhaupt?«
    »Ja«, sagte Angel und baute sich neben mir auf. »Auf welcher Seite stehst du, Schätzchen?«
    Ich konnte kaum sprechen. »Seite?«, stotterte ich. »Zigeuner? Was ist denn bloß
los
mit euch? Ihr seid doch alle bescheuert.«
    »Das ist auch einer von deinen, was?«, erwiderte Angel grinsend. »Mein Gott, du treibst dich ja vielleicht rum. Studenten, ein komischer Kauz, reiche Jungs und jetzt ein Zigeuner . . . Kannst du denn
gar
nicht mal Nein sagen?«
    »Vergiss nicht den Hund«, prustete Robbie.
    Wut stieg in mir hoch. Ich sah ihre spottenden Gesichter, ihre Zähne und Lippen, ihren stechenden Blick. Die Luft um sie herum schien aufgeheizt von Grausamkeit. Es tat so weh, ich hätte schreien mögen. Aber ich wusste, das war sinnlos. Sie würden immer so bleiben. Ich konnte nichts daran ändern. Deshalb drehte ich mich einfach um und ging.
    »Grüß mir den großen Dom«, rief mir Angel hinterher. »Sag ihm, Angel schickt Liebesgrüße . . . Hast du verstanden? Die kleine Angel schickt
Liebes grüße
. . .« Ihr Lachen trieb mit dem Wind fort.
    Bill saß auf dem Randstreifen, hielt ihren Kopf in den Händen und stöhnte immer noch. Als ich vorbeiging, schaute sie mit getrübten Augen zu mir auf. »Cait? Was issn los? Wasn . . .? Wo gehsse hin?«
    Ich ging an ihr vorbei ohne ein Wort zu sagen und machte mich auf den Weg nach Hause.
     
    Was mich an dem ganzen Tag am meisten aufregte, hatte gar nichts mit Bill zu tun – es war weder ihre Blödheit noch der Pub oder die bescheuerten Jungs, auch nicht die gemeinen Reden von Angel und Robbie. Nein, am meisten regte mich die Vorstellung auf, was der Junge wohl von mir denken mochte. Während ich den langen Weg nach Hause zurücklief, immer wieder gegen die Tränen ankämpfte, sinnlos vor mich hin fluchte und wegen des restlichen Alkohols ab und zu stolperte, setzte mir die ganze Zeit ein einziger hässlicher Gedanke zu: Gott, was muss er von mir denken? Dass ich eine kleine Nutte mit widerlichen Freunden bin, die sich in aller Öffentlichkeit übergeben und mit Steinen nach Fremden werfen . . . eine scheinheilige Idiotin . . . ein typisch verblödeter Teenager . . .
    Ich weiß, es klingt unglaublich arrogant und egoistisch, aber ich konnte es einfach nicht ändern. Ich kriegte den Gedanken nicht mehr aus meinem Schädel. Ich stellte mir den Jungen vor, wie er irgendwo still in einem kleinen Versteck hockte, nach seiner Wunde am Kopf fasste und sich das Bild ins Gedächtnis rief, wie ich und die anderen lachten und ihn mit Steinen bewarfen. Ich schämte mich so.
    Natürlich machte ich mir auch Sorgen um
ihn
. Das ist ja klar. Ein schreckliches Gefühl kreiste in meiner Magengrube, von dem mir schlecht wurde, eine dumpfe Wut, wie ich sie das letzte Mal gespürt hatte, als ich vor ein paar Jahren versuchte eine Gruppe Kinder daran zu hindern, eine Katze zu quälen. Sie hatten ihr einen Feuerwerkskörper an den Schwanz gebunden und das arme Tier lief schreiend vor Schmerzen und Panik herum, während die Kinder alle wiegeisteskrank johlten. Ich
versuchte
zu helfen, aber die Katze raste davon und verschwand auf einem unbebauten Grundstück. Die Kinder lachten mich aus, ich konnte es nicht ändern. Sie waren zu viele. Ich fühlte mich so hilflos . . . genauso wie jetzt. Hilflos. Angewidert. Ich machte mir Sorgen um den Jungen. Ich wollte, dass alles mit ihm in Ordnung war, ich wollte, dass er . . .
    Die Wahrheit ist, ich wollte, dass er wusste, ich machte mir Sorgen.
    Dad sagt mir immer, ich soll mich nicht darum kümmern, was andere von mir denken oder was ich
glaube
, dass andere von mir denken könnten. »Sei einfach du selbst«, sagt er. »Wenn es für dich gut ist, dann reicht das.« Ich weiß, dass er Recht hat, aber manchmal ist es leichter gesagt als getan. Bei Leuten wie Angel und Robbie schaff ich es einigermaßen. Da kann ich mir sagen, es ist egal, was sie denken, ihre Meinung hat keine Bedeutung. Lass sie doch glauben, was sie wollen – was kümmert es mich? Ich kann mir das
sagen
. Es gelingt

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