Lucas
Gedanken. Ich schaute hinüber und sah, wie sich Bill eine Hand vor den Mund hielt, ihr Gesicht bleich wie ein Blatt Papier.
»Fahr links ran, Robbie«, sagte Angel. »Das kleine Miststück kotzt gleich.«
Robbie fluchte und brachte den Wagen schlingernd zumStehen. »Schaff sie raus! Schnell, raus mit ihr! Ich hab den Wagen heute Morgen erst sauber gemacht.«
Bill fing an zu würgen – es begann in ihrem Magen und stieg ihr schon in die Kehle hinauf. Angel saß nur da und lachte. Sie rührte keinen Finger. Und Brendell war alles egal. Also sprang ich – während Robbie einen Nervenzusammenbruch erlitt, fluchte, Gift und Galle spuckte und sinnlos an seiner Tür herumriss statt sie zu entriegeln – aus dem Wagen und schoss herum auf die andere Seite. Ich zog Bill raus und half ihr auf den Seitenstreifen. Nach ein paar Schritten gaben ihre Beine nach, sie sank auf die Knie und erbrach sich ins Gras. Vom Auto her hörte ich Angel jubeln und klatschen: »Ja! Los, komm schon, lass alles raus! Haha!«
So ist es, dachte ich, genau so. Es kann nicht mehr schlimmer werden. Ich schaute Bill an, die keuchend im Gras hockte und würgte. Ich sah zu Robbie hinüber, der endlich seine Tür aufgekriegt hatte und jetzt auf und ab ging, kräftig an seiner Zigarette zog und vor sich hin murmelte, während er manisch die Finger knacken ließ. Ich schaute auch nach Angel, die aus dem Wagenfenster schielte, eine Verrückte, die mich erst vor ein paar Minuten gewarnt hatte, meine Hände von einem Mann zu lassen, der knapp vierundzwanzig Stunden zuvor fast über mich hergefallen war.
Ich konnte nicht glauben, was hier ablief.
Wie war ich hierher gekommen?
Was
machte
ich hier?
Ich schaute mich um und plötzlich erkannte ich, wo wir waren. Auf dem Damm. Wir hatten am Straßenrand geparkt, so etwa nach einem Viertel der Strecke. Es war fast nicht auszuhalten.Das Ganze – der Wagen, die Leute, die Geräusche, mit denen sich Bill die Seele aus dem Leib würgte – dieser ganze Dreck und armselige Horror gehörten nicht hierher.
Ich ging vor, stellte mich an das Geländer und versuchte mich zu beruhigen, mich von all dem Widerlichen zu entfernen. Es war Flut, kurz vor dem Scheitel. Das Wasser stand so hoch, wie es nur geht, wenn nicht gerade Sturmflut ist. Die blanke, silberne Wasserfläche rührte sich kaum, sie war wie ein Spiegel, nur ein sanftes Schwappen gegen das Reet und ein kaum erkennbarer blauer Strudel draußen in der Mitte der Flussmündung. Es sah wunderschön aus. Ein paar Sekunden vergaß ich alles andere, es verlor sich im Hintergrund, während ich in die beruhigende Stille des Wassers starrte.
Doch dann wurde die Stille von einem kehligen Fluch und einem Platschen zertrümmert.
»Ja! Hab ihn!«
Ich schaute hinüber und sah, wie Robbie sich über das Geländer beugte und Steine auf irgendetwas am Ufer schleuderte. Er warf sie mit ganzer Kraft, sein Gesicht zu einer Maske der Bosheit verzerrt.
»Was
machst
du?«, schrie ich.
Er ignorierte mich und beugte sich nach unten, um neue Steine vom Seitenstreifen der Straße aufzulesen. »Hey, Ange«, rief er. »Komm her, guck dir das an.«
Angel stieg aus dem Wagen, stakste zum Geländer und kam zur gleichen Zeit an wie ich.
»Guck«, sagte Robbie und hob einen weiteren Stein auf. »Mist! Jetzt haut er ab, der Scheißkerl.«
Ich blickte über das Geländer und erwartete, einen verletzten Vogel oder so was zu sehen, aber es war kein Vogel – es war ein Junge.
Der
Junge, der Junge in Grün. Ungefähr zwanzig Meter flussabwärts kämpfte er sich mit einer Angelrute in der einen Hand und seiner Leinentasche in der anderen die Uferböschung hinauf. Die Haare waren am Hinterkopf, dort wo einer der Steine sein Ziel getroffen hatte, blutig verfilzt.
»O Gott«, flüsterte ich.
Angel war auf das Geländer geklettert und trieb ihren Bruder an. »Krieg ihn, Rob, mach schon, er haut ab. Krieg ihn!«
Als Robbie grinsend den nächsten Stein werfen wollte, packte ich seinen Arm, dass er einen Moment aus dem Gleichgewicht kam. Er holte aus und stieß mich beiseite, dann schleuderte er den Stein mit widerlicher Kraft in den Rücken des Jungen. Der Junge stolperte und rutschte die Böschung halb wieder hinunter, dann fand er Halt und sprang über einen schmalen Wasserlauf, ehe er sich im Gewirr aus Reet verlor. Gerade als er verschwand, warf er einen Blick über die Schulter und schaute zu uns herüber. Von jemandem in seiner Lage hätte ich erwartet, dass er ängstlich, wütend,
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