Lucas
genannten
Freunde
. . .« Meine Stimme verhallte. Ich konnte nicht weitersprechen. Es gab nicht die passenden Worte.
»Was ist mit ihnen?«, fragte er.
»Nichts – schon gut. Lass mich einfach in Ruhe.«
»Cait –«
»Lass mich
los
.«
Verwirrt wich er zurück. »Okay, okay, schrei nicht so. Hör zu, es tut mir Leid. Ich wollte nichts . . . ich weiß, ich hätte das über Dad nicht sagen sollen.«
»Nein, hättest du nicht.«
»Aber ich wollte nicht –«
»Vergiss es.«
»Was ich sagen wollte –«
»Ja, ich weiß, was du sagen wolltest.« Ich blieb im Türrahmen stehen und sah ihn an, in der Hoffnung, noch eine Spur des alten Dominic,
meines
Dominic zu finden . . . aber ich fand nichts.
»Was ist?«, fragte er, beunruhigt von dem Blick, mit dem ich ihn anstarrte.
»Nichts. Mach dir keine Sorgen.« Ich wandte mich zum Gehen. »Ach, übrigens, Angel schickt dir Liebesgrüße.«
Er leckte sich die Lippen. »Wer?«
»Angel Dean«, wiederholte ich.
»Wie? . . . Wann hast –«
»Gute Nacht, Dominic.«
Er war neun gewesen, als Mum starb, ich fünf. Und Dad vierunddreißig. Offenbar hatte es uns alle auf unterschiedliche Weise berührt.
In jener Nacht träumte ich von dem Jungen. Es regnete. Er rannte über den Strand und Leute jagten ihn, warfen mit Steinen und riefen Schimpfwörter hinter ihm her.
Zigeuner! Dieb! Dreckiger Perverser!
Es waren Hunderte, die Stöcke, Schaufeln, Rohrstücke und Steine schwangen, irgendwas, das sie gerade zur Hand hatten. Ihre Alptraumgesichter waren hasserfüllt und vom Regen verschmiert.
Dreckiger Zigeuner! Dreckiges Schwein!
Jamie Tait war unter ihnen, eingeölt und in seiner zu kleinen Badehose. Auch Angel und Robbie waren dabei. Brendell, Bill, Dominic, Deefer, Simon, Dad, alle von der Insel machten mit, alle stürmten sie über den Strand und forderten Blut . . . und ich war auch da. Ich war mitten unter ihnen. Ich lief mit der Meute. Ich spürte den nassen Sand unter meinen Füßen, den Regen in meinem Haar, das Gewicht des Steins in meiner Hand. Ich spürte mein Herz vor Angst und Aufregung schlagen, während ich über den Strand lief, am Bunker vorbei, in Richtung Point. Der Junge hatte aufgehört zu laufen und stand am Rand des Watts. Überall um ihn herum schimmerte die Luft in nie gesehenen Farben. Er blickte über die Schulter, sah mich mit flehenden Augen an und bat um Hilfe. Aber was konnte ich tun? Nichts. Es waren zu viele. Es war zu spät.
BLEIB NICHT STEHEN!
, schrie eine Stimme. Es war meine.
TU’S NICHT! BLEIB NICHT STEHEN! LAUF WEITER! GIB NICHT AUF! LAUF EINFACH! LAUF WEITER, FÜR IMMER
. . .
Drei
W ährend der nächsten Tage kam das Wetter nicht zur Ruhe. Morgens schien kräftig die Sonne, nachmittags dagegen war der Himmel bewölkt und es fielen leichte Sommerschauer, später brannte wieder kurzzeitig die Sonne, ehe sich abermals Wolken türmten und es in Strömen goss. Es war wie in einem Zeitrafferfilm über den Lauf der Jahreszeiten. Abends blies ein kalter Wind von See her und peitschte Wolken aus Staub und Sand auf. Und wenn das Licht über dem Horizont durch den aufsteigenden Schleier gefiltert wurde, nahm der Himmel eine pastellfarbene Herbsttönung an. Nachts wiederum wurde die Luft heiß und stickig und manchmal hörte ich in der Ferne ein leises Donnergrollen, das wie das Grummeln eines schlecht gelaunten Schlägertypen klang. Es waren wechselhafte Zeiten.
Ich blieb so viel wie möglich zu Hause. Fürs Erste hatte ich genug von anderen Leuten. Weder wollte ich mit jemandem reden, noch allein über irgendwelche Dinge nachdenken. Ich wollte einfach nur dasitzen und nichts tun.
Aber das war nicht leicht.
Kannst du dir vorstellen, was das für ein Gefühl ist, wenndu nicht weißt, wie du dich fühlen sollst? Wenn deine Gedanken von einem Punkt zum andern gleiten, wenn du nicht abschalten kannst, wenn du weißt, dass dich etwas gestochen hat, aber nicht, wo du dich kratzen sollst? Genau so fühlte ich mich nach den Ereignissen des Wochenendes. Ich wusste einfach nicht, was ich von alldem und von den Leuten ringsum halten sollte: von mir, Dad, Bill, Jamie, Dominic, Angel, dem Strand, dem Jungen . . . All das kreiste mir ständig im Kopf. Als hätte jemand den Deckel einer Zauberkiste geöffnet und ein Dutzend Springteufel wären hervorgeschnellt, die alle mit den Köpfen wackelten und mir Fragen entgegenbrüllten –
Was hältst du von Simon? Du magst ihn, stimmt’s? Wie sehr magst du ihn? Und was ist mit dem
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