Lucas
abgewendet und starrte mit der bleichen Leere einer Leiche auf mich herunter. Eine Reihe verblichener Tätowierungen färbte seinen Hals, eine Sichel aus grob gezeichneten Sternen, und ich fragte mich, was sie bedeuten sollten. Etwas Nautisches? Ein Symbol? Ein Sternzeichen? Ich entschied mich dafür, dass sie nichts bedeuteten – sie waren einfach nur Tätowierungen. Er war ein gewaltiger Mann und von unten, aus meiner Perspektive, wirkte er sogar noch gewaltiger. Schwere Hände, breite Schultern, ein riesiger quadratischer Kopf mit ramponierten Gesichtszügen. Er sah aus wie von einer Schaufel mitten ins Gesicht getroffen. Platte Nase, platter Mund, grün geschlagene Augen . . . und ohne die Augen von mir abzuwenden, riss er sich plötzlich die Zigarette aus dem Mund, beugte sich über das Geländer und spuckte. Die Ladung landete mit einem Platsch direkt vor meinen Füßen. Ich sah auf sie runter. Sie war braun und eklig, mir wurde schlecht bei dem Anblick.
Dad unterbrach sich, schaute mich an, dann sah er langsam hinauf zu Brendell. Brendell steckte sich die Zigarettewieder in den Mund und starrte zurück, seine Augen ohne jeden Ausdruck. Deefer fing an zu knurren. Dad auch.
»Alles okay, Dad«, flüsterte ich. »Bitte misch dich nicht ein. Ist schon gut.«
Ich glaube nicht, dass er mich hörte. Brendell tat so, als ob er seine Kehle frei bekommen wollte. Ohne den Blick von Dad abzuwenden spuckte er diesmal laut in sein Taschentuch. Dads Kinn straffte sich, seine Augen loderten, als Brendell grinste, das Taschentuch zusammenfaltete, in die Hose steckte und danach lässig weiterrauchte. Im Hintergrund standen Jamie und Sara und sahen mit grausamer Lust zu. Vor allem Sara hatte einen irren Glanz in ihren Augen. Ihr Blick erinnerte mich an ein Bild, das ich einmal gesehen hatte. Es zeigte ein Gesicht in der Menge bei einem Hahnenkampf – einen Blick voller Blutgier.
Überraschenderweise war es Bob Toms, der das Schweigen brach. »Das ist ekelhaft, Lee.«
Brendell wandte langsam den Kopf. Ein schmales Lächeln drang zwischen seinen Lippen hervor, als er mit tiefer, lispelnder Stimme sagte: »Ich hatte eine Fliege im Mund, Mr Toms. Was hätte ich Ihrer Meinung nach tun sollen? Sie runterschlucken?«
Toms schüttelte den Kopf. »Für so ein Benehmen gibt es keinen Grund.«
»Was ist los?«, sagte Lee.
»Ich finde, du solltest dich entschuldigen.«
»Ach, hör doch auf, Dad«, sagte Sarah und trat vor. »Mach nicht so ein Theater.« Sie lächelte mit eiskalten Lippen und perfekten Zähnen zu mir herunter. »Ich bin sicher, Lee hat esnicht so gemeint und der kleinen Caity geht es ja gut – nicht wahr, Schätzchen?« Sie blickte verächtlich auf Dad. »Abgesehen davon bin ich sicher, sie hat schon Schlimmeres gesehen.«
Toms ignorierte den letzten Satz und beobachtete Dad mit besorgtem Blick. »Na dann, John«, sagte er und hob seine Hände zu einer plakativen Geste. »Kein Grund, Dummheiten zu machen. Ich bin sicher, Sara hat Recht.«
»Mach dir keine Sorgen, Bob«, sagte Dad kühl, während er immer noch Brendell anstarrte. »Ich hab nicht vor, dir den Tag zu verderben.« Brendell schniefte nur und schaute weg. Dad sah Toms an. »Aber Danke für die Fürsorge. Es ist immer gut, einen Ordnungshüter in der Nähe zu wissen, falls man mal einen braucht.«
»Hör zu, John . . .«, fing Toms an.
Aber Dad hatte sich schon abgewendet und ging am Deich entlang hinunter zum Strand. Ich rief Deefer, dann liefen wir hinter Dad her.
Die Blaskapelle spielte die Titelmelodie von
Animal Hospital
.
Es regnete.
Das Wohltätigkeitsrennen beginnt an der Bootswerft und führt die Flöße an einer Reihe von Bojen vorbei um die Bucht bis zu einem Wendepunkt am Fuß der Klippen, wo sie eine Boje umfahren, ehe sie auf demselben Weg, wie sie gekommen sind, wieder zurückkehren. Es ist einer der Höhepunkte des ganzen Tags und normalerweise stehen ziemlich viele Menschen an der Strecke, um die Teilnehmer anzufeuern.Aber an diesem Vormittag wurde die Menge der Zuschauer immer kleiner, je weiter die Zeit fortschritt und je mehr sich das Wetter eintrübte. Gegen ein Uhr waren es höchstens noch vierzig oder fünfzig Leute, die sich weit verstreut über Strand und Klippen verteilten und den Flößen halbherzig zujubelten. Die meisten, die unten vom Strand aus zuschauten, waren Besucher, während die oben auf oder an den Klippen Einheimische waren.
Wie üblich bestanden die Flöße aus einer wilden Mischung zusammengezurrter
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