Lucas
Bretter und Fässer, mit schwankenden Masten und Betttüchern als Segel. Einige ließen das Totenkopfsymbol flattern.
Jedes Jahr brechen ein paar Flöße unterwegs auseinander oder kentern oder sinken ganz einfach, und auch wenn die Strömung in der Bucht eigentlich weitgehend ungefährlich ist, stehen doch überall freiwillige Rettungsschwimmer am Strand und an den Klippen, um im Notfall eingreifen zu können.
Dieses Jahr hatte es allerdings ein Chaos im Zeitplan gegeben.
Um halb zwei, als der Sturm begann und die Flöße gerade den Wendepunkt erreichten, saß der Rettungsschwimmer, der am Fuß der Klippen Dienst tun sollte, im Dog & Pheasant und spülte gerade seinen Steak-and-Kidney-Pie mit einem halben Liter Apfel-Johannisbeer-Wein runter.
Dad und ich verfolgten die Flöße von einer leicht abschüssigen Wiese oben auf der Klippe, von wo man die ganze Bucht überblickt. Es ist schwierig, dort hinzukommen – man mussüber Bäche und Gräben steigen und sich durch verschiedene Stacheldrahtzäune quetschen – aber es lohnt sich am Ende, denn niemand sonst denkt daran, diese Mühe auf sich zu nehmen, also hat man den Platz ganz für sich. Außerdem wird man mit einem großartigen Ausblick belohnt. Man sieht die Wendeboje, wo die Flöße umkehren, man kann den ganzen Strand entlangschauen und, was das Beste ist, man hat die anderen Zuschauer, die alle unter einem stehen, im Blick. Die meisten – oder jedenfalls die meisten von denen, die übrig waren – standen entlang der Klippenwege, aber eine kleine Gruppe von Einheimischen hatte sich direkt unter uns auf einem flachen Riff am Fuß der Klippen zusammengefunden.
Ich beobachtete sie durchs Fernglas.
Ich beobachtete Jamie Tait und Sara Toms, die auf einem Felsen saßen und über irgendwas lachten.
Ich beobachtete Lee Brendell, der mit Angel Dean sprach.
Ich beobachtete Bill Gray, die etwas abseits alleine stand. Ich fragte mich, ob sie auf Dominic wartete.
Sie alle wirkten ein bisschen verloren im Regen. Sara in ihrem schicken Kleid und dem Beerdigungshut, Brendell mit seinem dünnen Haar, das an seinem Schädel klebte, Bill in ihrer Ledermontur und Angel . . . Angel trug nur ein schwarzes Bikinitop und dazu hautenge Jeans. Sie wirkte wie steif gefroren. Aber das hinderte sie nicht, alle zwei Minuten einen leidenschaftlichen Blick in Jamies Richtung zu werfen.
Während ich den Brennpunkt des Fernglases justierte, bekam ich Jamie ganz groß ins Bild, wie er über die Schulter hinweg Angel zulächelte, als er glaubte, Sara würde woandershinschauen. Doch er hatte sich geirrt. Mit einer leichten Kopfbewegung warf sie Angel einen mörderischen Blick zu und flüsterte Jamie etwas ins Ohr, dann stieß sie ihm mit den Fingerknöcheln hart in die Leiste.
Nach seinem Gesicht zu urteilen tat der Schlag weh. Recht so, dachte ich.
»Eigentlich hatte ich gedacht, du wolltest die Boote beobachten«, meinte Dad.
Er lag auf dem Rücken und starrte in den Regen. Wir hatten gegessen und unsere Wasser abstoßende Kleidung, also Regenhut und -cape übergezogen. Dad hatte ein paar Dosen Guinness verdrückt und, als er glaubte, ich würde nicht gucken, ein paar kräftige Schlucke aus seinem Flachmann genommen. Den Zwischenfall im Park schien er vergessen zu haben. Oder jedenfalls hatte er ihn für den Moment aus seinem Bewusstsein getilgt.
Ich sagte: »Das sind keine Boote, sondern Flöße.«
»Flöße, Boote . . .«, murmelte er. »Sind doch alles Arschlöcher.«
»Dad.«
»Ist doch wahr . . .« Er setzte sich auf. »Ich meine, schau sie dir an. Was glauben die eigentlich, was sie da tun? Es regnet in Strömen und stürmt und die haben nichts Besseres zu tun, als auf einem Haufen beschissener
Holzplanken
durch die Bucht zu paddeln.«
»Und wir sitzen hier oben im Regen und schauen zu.«
Er grinste mich an. »Ha, aber wir sind nicht in Gefahr zu ersaufen, oder?« Er schaute sich um. »Wo ist der Hund?«
»Da drüben.« Ich zeigte auf die äußerste Spitze der Felskuppe,wo Deefer wie ein Wächter lag und auf den Strand hinabstarrte. Er saß dort schon seit über zwanzig Minuten, ohne sich groß zu rühren. Er starrte einfach nur in die Gegend.
»Was macht er?«, erwiderte Dad.
»Frag mich nicht.«
Dad wischte sich den Regen aus den Augenbrauen und ließ eine weitere Dose ploppen. Dann schaute er hinauf zu den treibenden Wolken und sagte: »Es gibt doch nichts Schöneres als ein richtig gutes Picknick, nicht wahr?«
»Genau, und das hier ist –«
»–
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