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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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auf sie zulief.
    »Er schien sich keine allzu großen Sorgen zu machen«, erzählte Lenny, »sondern kam uns mit einem Lächeln auf den Lippen entgegen, streckte seine Hand aus und sagte: ›Mein Name ist Lucas. Ich gehe davon aus, Sie suchen nach mir.‹«
    »Wieso wusste er, wo er euch treffen würde?«, fragte Dad. »Ich weiß es nicht«, antwortete Lenny. »Es war ein bisschen seltsam, um ehrlich zu sein.«
    Einen Moment wurde es still, als Lenny gedankenversunken aus dem Fenster blickte und sich den Nacken rieb. Dann schüttelte er den Kopf, holte tief Luft und fuhr mit seiner Geschichte fort. »Wir nahmen ihn mit auf die Wache, erklärten ihm, dass eine Beschwerde vorläge und dass wir ihm gern ein paar Fragen stellen würden. Es schien, als hätte er nichts dagegen einzuwenden. Als wir ihm sagten, er sei nicht verhaftet und habe das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen, lächelte er bloß und meinte, das wäre nicht notwendig. Also ließen wir ihn sich hinsetzen und fingen mit den üblichen Fragen an – Name, Alter, Adresse – und da auf einmal wurde alles ziemlich komisch.«
    »Komisch?«, fragte ich.
    Lenny runzelte die Augenbrauen. »Er sagte uns, sein Name sei Lucas. Als ich nachhakte, ob das der Vor- oder Nachname sei, schaute er mich bloß an und meinte: ›Weder noch. Einfach nur Lucas.‹ Ich sagte: ›Wie soll ich das verstehen? Man kann nicht bloß
einen
Namen haben.‹ Und er antwortete: ›Es ist aber auch kein Verbrechen, oder?‹«
    Dad lachte. »Und? Ist es das?«
    Lenny schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich hab jemanden beauftragt sich kundig zu machen.«
    »Hatte er keinen Ausweis dabei?«, fragte Dad.
    »Nichts. Keine Geburtsurkunde, keinen Führerschein, keine Versicherungskarte, gar nichts. Alles, was er bei sich hatte, war ein Taschenmesser und etwas Tabak.«
    Ich fragte: »Könnt ihr ihn nicht in euren Computerdateien suchen?«
    »Nicht mit nur diesem einen Namen, nein.«
    Dad meinte: »Hast du ihn nicht gefragt,
warum
er nur einen Namen hat?«
    »Natürlich. Fast eine Stunde hab ich damit zugebracht. Das Einzige, was ich aus ihm herausbekommen habe, ist, dass er nicht weiß, wann und wo er geboren wurde, dass er angeblich ein Findelkind ist und dass er sich an keinen Namen oder Ort der Heime erinnern kann, wo er aufwuchs.«
    Mir fiel das Foto an der Wand in Lucas’ Behausung wieder ein, die schöne junge Frau mit den hochgegelten blonden Stachelhaaren und den dunklen Augen. Und mir fiel auch ein, wie Lucas gesagt hatte:
Das ist meine Mutter. Es wurde vor ungefähr fünfzehn Jahren aufgenommen
. . .
Ich denke, sie ist wahrscheinlich tot . . .
    »Was ist mit seinem Alter?«, fragte ich. »Hat er gesagt, wie alt er ist?«
    »Sechzehn«, antwortete Lenny. »Was, wenn es stimmt, bedeutet, dass er nach hiesigem Recht frei entscheiden kann, wie und wo er leben möchte. Und genau das tut er.«
    »Wie meinst du das?«, fragte Dad.
    »Er lässt sich von Ort zu Ort treiben, arbeitet ab und zu ein bisschen, wenn er Geld braucht, doch die meiste Zeit scheint es ihm zu genügen, sich von dem zu ernähren, was die Natur hergibt. Fische, Kaninchen, wilde Früchte, Beeren . . .«
    »Ein regelrechter Robinson Crusoe«, sagte Dad.
    »Sieht so aus.«
    »Tja, schön für ihn.«
    Lenny schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Mac. Es kommt mir merkwürdig vor.«
    »Wieso?«
    »Na ja, erstens bin ich nicht sicher, ob ich ihm glauben soll. Diese ganze Geheimnistuerei, wer er ist und wo er herkommt . . . ich könnte wetten, er wird irgendwo wegen irgendwas gesucht, und er weiß genau, wenn er uns seinen richtigen Namen nennt, landet er entweder hinter Gittern oder kehrt dahin zurück, wo er herkommt.«
    »Glaubst du das wirklich?«, fragte ich.
    Er schaute mich an. »Das ist, was die Erfahrung mich lehrt, Cait.«
    »Aber was
glaubst
du?«
    Er schwieg eine Weile, dann sagte er: »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Selbst wenn es wahr ist, wenn er wirklich ein harmloser Nomade ist, der bloß ziellos in der Gegend herumwandert, weiß ich nicht, ob mir diese Wahrheit gefällt.«
    »Warum nicht?«, fragte Dad.
    »Er ist noch ein Kind, Mac. Er sollte jemanden haben, der nach ihm schaut. Die Welt da draußen ist nicht freundlich . . . Ich meine, schau dir doch an, in welchen Schlamassel er sich jetzt reingeritten hat.«
    »Was heißt
Schlamassel
? Er hat ein Kind vor dem Ertrinken gerettet – wo liegt da der Schlamassel?«
    Lenny schien sich unwohl zu fühlen. »Es gibt widersprüchliche Aussagen über das,

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