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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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er bewegte sich auf Jamie zu. Jamie hatte kaum Zeit, seine Hände in widerstandsloser Kapitulation zu heben, da war Lucas bereits auf die eine Seite gesprungen und hatte ihm voll in den Magen geschlagen. Als Jamie stöhnend zusammenbrach, packte ihn Lucas an den Haaren und stieß ihm sein Knie ins Gesicht. Jamies Nase brach mit einem entsetzlichen Knacken und er sank zu Boden, während ihm das Blut übers Gesicht lief.
    Ich dachte, das war’s. Genug. Aber ich irrte mich. Lucas war noch nicht fertig. Er hatte noch gar nicht richtig angefangen.
    Als Jamie sich auf dem Boden wand und seinen Kopf in den Händen hielt, trat Lucas über ihn und hockte sich auf seine Brust, dann drückte er Jamies Arme mit seinen Knien zu Boden und hielt ihm das Messer an die Kehle. Jamie hustete und spuckte Blut. Lucas starrte ihn einen Augenblick an, dann beugte er sich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Jamie riss die Augen auf und fing an zu schluchzen: »
Nein! Bitte! Nicht!« –
und das Nächste, was ich mitbekam, war, dass Lucas sich, sein Messer zwischen den Zähnen, umdrehte und Jamies Gürtel aufriss. Jamie schrie und wand sich in Panik, aber Lucas hielt seine Arme mit den Knien unten und Jamie konnte nichts tun.
    Einen Moment war ich fassungslos.
    Ich dachte: Er wird doch nicht . . . oder doch? Bestimmt nicht . . .
    Herr im Himmel!
    Ich schrie: »Lucas! Nein!
LUCAS!
«, aber er registrierte mich nicht. Den Gürtel hatte er inzwischen geöffnet und nahm das Messer aus dem Mund. »LUCAS!«, kreischte ich. »LEG DAS MESSER WEG!
LEG ES WEG!
« Diesmal schien er mich zu hören. Ich sah, wie er innehielt. Er schaute auf das Messer in seiner Hand, dann schaute er zu mir hoch.
    »Tu’s nicht, Lucas«, sagte ich schwer atmend. »Bitte – tu das Messer weg.«
    Er starrte mich an. In seinen Augen lag keine Wut, keine Spur von Boshaftigkeit. Er schaute so sanftmütig wie einWelpe. Als ich einen Blick auf das Messer in seiner Hand warf, bemerkte ich eine dunkle Stelle auf Jamies ramponierter Hose. Er hatte sich voll gepinkelt. Ich schaute in Lucas’ Augen.
    »Es reicht«, sagte ich besänftigend.
    Er blickte über die Schulter auf Jamie. Auch ich schaute zu Jamie hin. Er war fertig. Seine Nase war rot und geschwollen, sein Gesicht blutüberströmt und ein abgebrochenes Stück Zahn steckte ihm in der Lippe. Sein Blick konzentrierte sich auf mich und er versuchte etwas zu sagen, aber das Einzige, was herauskam, war »N . . . naaa . . .«
    Lucas sah mich an. »Du weißt, ich würde allen viel Ärger ersparen, wenn ich ihn erledigte und im Wald verscharrte.« »
    Um Himmels
willen
, Lucas . . .«
    Ich redete nicht weiter, als ich sah, dass er mich anlächelte.
     
    Als wir den Weg zurückgingen, um nach Dominic zu schauen, musste ich die ganze Zeit daran denken, was ich gerade mit eigenen Augen gesehen hatte. Ich hatte noch nie echte Gewalt erlebt und jetzt, nachdem ich sie gesehen hatte, wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Natürlich war ich froh, in Sicherheit zu sein, und ich kann nicht leugnen, dass ich mich freute Jamie Tait leiden zu sehen . . . Aber wie viel Erleichterung ich auch spürte, sie wurde doch völlig aufgehoben von meiner Reaktion auf die Gewalt selbst. Ihre bloße Kraft, ihre brutale Einfachheit, die Art, wie sie direkt ins Zentrum der Dinge vordrang – es war atemberaubend. Bis dahin war ich immer mit der Vorstellung durchs Leben gegangen, dass Gewalt keine Lösung ist . . . Jetzt war ich mir danicht mehr so sicher. Ich merkte allmählich, dass Gewalt durchaus eine legitime Antwort sein
kann
. Sie
kann
eine Lösung sein. Und ich wusste nicht, ob mir das gefiel.
    Ich schaute Lucas an, während ich neben ihm herlief. Er hatte wieder das Gesicht eines Jungen. Es war nicht zu glauben, dass er noch vor ein paar Minuten beinahe einen Akt entsetzlicher Grausamkeit begangen hätte. Wenn ich ihn in dem Moment nicht gehindert hätte . . .
    Ich sah über die Schulter. Jamie hatte sich auf die Knie gestützt und erbrach sich am Rand des Wegs.
    »Hättest du es wirklich getan?«, fragte ich Lucas.
    »Was getan?«
    »Du weißt schon . . . sein Ding abgeschnitten.«
    Er sah mich mit einem Gesicht der reinen Unschuld an. »Für was hältst du mich – für eine Bestie?«
     
    Dominic war immer noch ohne Bewusstsein. Lucas kniete sich neben ihn, um zu prüfen, wie es ihm ging. Erst untersuchte er den Kopf und sah in Mund und Augen, dann strich er mit seinen Händen über den Körper und zuletzt überprüfte er noch den

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