Lucas
Bewusstsein war, ging Lucas mit Dominic ein Stück die Straße hinauf und redete ein paar Minuten mit ihm. Es gab keine drohenden Finger, keine laut werdenden Stimmen, sie standen einfach nur da und sahensich an wie zwei alte schwatzende Weiber. Als sie zurückkamen, war Dominic ruhig und nachdenklich und konnte mir nicht in die Augen sehen.
Ich weiß nicht, was Lucas ihm gesagt hatte – ich habe ihn nie danach gefragt und Dominic hat es mir auch nie erzählt –, aber als wir drei durch den Wald zurückgingen, glaubte ich langsam, ich hätte wieder einen Bruder.
Nach allem, was ich durchgemacht hatte, war das ungefähr so viel Trost wie ein Lottogewinn von zehn Pfund an dem Tag, an dem gerade dein Haus abgebrannt ist.
Wir gingen schweigend wie müde Soldaten, die von einem Schlachtfeld zurückkehren, jeder in seine eigenen bekümmerten Gedanken versunken. Wenn ich es genau bedenke, sahen wir wahrscheinlich auch wirklich wie Soldaten aus. Dominic mit seinem verwundeten Kopf, ich mit dem verletzten Knie und Lucas in seiner grünen Kleidung und mit dem Messer, das ihm aus dem Gürtel hing. Es war ein schwerer Weg, psychisch und auch körperlich, und als wir das Kornfeld am Rand des Waldes erreichten, fing nicht nur mein Kopf, sondern auch mein Knie an zu pochen.
Lucas, der vorneweg ging, blieb stehen und drehte sich um. Ich und Dominic schlurften noch weiter, bis wir vor ihm standen.
»Gut«, sagte er und sah uns beide an. »Ihr solltet euch jetzt vielleicht überlegen, was ihr eurem Dad erzählen wollt. Die Wahrheit oder eine Lüge? Jedenfalls könnt ihr, so wie ihr ausseht, nicht einfach nach Hause kommen und hoffen, dass er nichts merkt.«
Ich sah Dominic an, ob er irgendeine Idee hatte, aber erhatte immer noch diesen leeren, fast zugedröhnt wirkenden Gesichtsausdruck. Ich weiß nicht, ob es Selbstmitleid oder Schuldgefühle waren, aber egal, was es sein mochte, es ging mir langsam auf die Nerven.
»Ich glaube nicht, dass ich Dad die Wahrheit sagen kann«, sagte ich zu Lucas. »Noch nicht jedenfalls. Ich brauch ein bisschen Zeit, über alles nachzudenken.«
»Aber irgendwas wirst du ihm sagen müssen«, antwortete er.
»Wenn ich es ins Haus schaffe, ohne dass er mich sieht, geht alles klar, glaube ich. Solange ich keine Shorts trage, wird er nicht merken, dass ich mir das Knie aufgerissen hab.«
»Besser, du bedeckst auch die Arme«, schlug Lucas vor.
Ich schaute an mir herunter. Am Ellenbogen, da wo Jamie zugepackt hatte, zeigte sich ein handgroßer blauer Fleck. »Was ist mit meinem Hals?«, fragte ich. »Er tut ein bisschen weh.«
Lucas hob mit dem Finger behutsam mein Kinn hoch und betrachtete die Stelle genau. »Nein, da ist alles in Ordnung. Nur ein bisschen rot. Sieht man aber kaum.« Er lächelte mich an, dann wurde sein Blick ernst und er wandte sich an Dominic. »Was ist mit dir?«
Dom blinzelte. »Hm?«
Lucas ging zu ihm. »Na, komm schon. Schluss jetzt. Du hast noch genug Zeit, dir selbst Leid zu tun. Jetzt musst du erst mal deiner Schwester helfen.«
Dom sah mich kurz an und nickte.
Lucas sagte: »Also los, denk nach. Erzähl mir ein paar Lügen. Was ist mit deinem Kopf passiert?«
Dom leckte sich die Lippen. »Hm . . . ich war betrunken.«
»Wo?«
»Auf Brendells Boot?«
»Gut. Was ist passiert?«
»Er hat mir einen Billardstock übergebraten.«
»Wer?«
»Brendell.«
»Warum?«
»Er schlägt gern mal zu.«
Lucas nickte. »Das geht. Klingt bescheuert genug, um einzuleuchten. Wenn ihr nach Hause kommt, gehst du zuerst rein und suchst nach deinem Vater. Erzähl ihm das, was du gerade mir erzählt hast. Dann, wenn er anfängt dir die Hölle heiß zu machen, kann Cait ins Haus schlüpfen, ohne dass er sie sieht. Hast du das verstanden?«
Dom nickte wieder.
Lucas schaute ihn an. »Also los – worauf wartest du noch?«
»Kommt ihr nicht mit?«
»Ich muss noch kurz was mit Cait bereden. Es dauert nicht lange. Geh schon mal vor bis zu eurem Weg und warte da auf sie.«
Dom zögerte und sah mich an.
»Ist schon in Ordnung«, sagte ich zu ihm.
Er dachte einen Moment drüber nach, betrachtete Lucas mit ernstem Gesicht, kletterte dann die Böschung zum Kornfeld hoch und lief in Richtung Zufahrt zu unserem Haus. Ich wartete, bis er außer Sicht war, dann ging ich auf Lucas zu. Ich dachte nicht weiter drüber nach. Es geschah einfach so. Es schien das Natürlichste von der Welt zu sein. Aber als ich ihnerreichte und ihn umarmen wollte, zog sich ein Ausdruck von Verlegenheit
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